Während man sich beim KDE-Projekt schon vor einiger Zeit zu einem radikalen Bruch mit der bisherigen Softwareplattform entschied - und in Folge Anfang 2008 KDE4 veröffentlichte - setzte man beim zweiten großen Linux-Desktop GNOME bislang vor allem auf eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Bestehenden.

Stabilität

Ein Ansatz der zwar vor allem externe EntwicklerInnen und Firmen erfreut, durchaus aber auch so seine technologischen Problematiken birgt. Immerhin sammeln sich dadurch über die Jahre eine Fülle von veralteten Funktionen und Bibliotheken an, die nicht nur unnötigen Wartungsaufwand bedeuten, sondern auch an Performance und Speicherverbrauch nagen. Gleichzeitig kompliziert die API/ABI-Garantie - also das Versprechen die Programmierschnittstellen unverändert zu lassen - die Entwicklung von gänzlich neuen Features erheblich.

Bruch

Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis hat das GTK+-Projekt - das grafische Toolkit bildet die Basis des GNOME-Desktops - vor einigen Monaten den lange vermiedenen Bruch angekündigt: Mit GTK+ 3.0 will man anstehende Aufräumarbeiten durchführen und so die Basis für neue Innovationen schaffen. Statt einem wirklich großen Bruch à la KDE4 / QT4 will man dabei den Übergang aber so sanft wie möglich gestalten und schon in den letzten GTK+ 2.x-Versionen entsprechende Vorbereitungsarbeiten vornehmen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Kurz nach dieser Ankündigung setzte dann das GNOME-Projekt nach: Einige Monate nach der Freigabe von GTK+ 3.0 soll auch eine runderneuerte Version des eigenen Desktops erscheinen, so der am Ende der jährlichen EntwicklerInnenkonferenz GUADEC verkündete Plan. Was konkrete Pläne für GNOME 3 betrifft, hielt man sich zunächst allerdings noch bedeckt, ins Zentrum stellte man zunächst einmal auch hier Aufräumarbeiten - alte Technologien wie die libgnome|ui, Bonobo, Orbit und Co. sollen vollständig aus der eigenen Plattform verschwinden.

Pläne

Immer wieder wurde dabei auch über grundlegende Änderungen am GNOME-Interface gesprochen, konkrete Pläne kristallisierten sich hierbei zunächst aber noch nicht heraus. Diese sollten erst einige Monate später entworfen werden: Mitte Oktober setzten sich die zentralen EntwicklerInnen des Projekts im Vorfeld des GNOME Boston Summits zu einem mehrtägigen User-Experience-Hackfest zusammen.

Planung

Nach einer Analyse des Bestehenden - unterfüttert durch die Erfahrungen des Masseneinsatzes von GNOME-Desktops in der US-amerikanischen City of Largo - machte man sich daran in einer Reihe von Arbeitsgruppen an neuen Konzepten zu feilen, und gleich auch die ersten Interface-Mockups (wie im Bild) zu entwerfen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine zentrale Rolle in der Analyse nahmen die Probleme beim derzeitigen GNOME-Workflow ein: So konstatierte man etwa, dass die klassische Liste der geöffneten Fenster im Panel für die meisten BenutzerInnen schlicht nicht funktioniert, besonders wenn eine Vielzahl von Fenstern geöffnet sind, bietet sie kaum einen brauchbaren Überblick.

Workspace

Eine der klassischen Stärken der Unix/Linux-Desktop-Welt ist hingegen die Möglichkeit, die laufenden Programme auf mehrere Workspaces aufzuteilen. Eine Stärke, die allerdings bislang nur begrenzt bei DurchschnittsbenutzerInnen angekommen ist: Erst mit den Visualisierungen diese Features anhand des bekannten Compiz-Cubes hätten die BenutzerInnen in der bereits erwähnten City of Largo überhaupt erst damit begonnen Workspaces aktiv zu nutzen.

Start

Ein weiteres langjähriges Sorgenkind ist der Start von Anwendungen. Viele BenutzerInnen finden in den geläufigen hierarchischen Menüs die benötigten Einträge nur schwer. Auch die diversen alternativen Ansätze - wie das bei openSUSE eingesetzte GNOME Main Menu - hätten hier nur wenig Verbesserung gebracht.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Freilich soll es nicht beim Beklagen von Missständen bleiben: Abhilfe für all diese Defizite soll künftig die GNOME Shell bieten, eine frische Kombination aus Panel und Window Manager, an der seit dem GNOME Summit eifrig gearbeitet wird.

Umbau

Auf den ersten Blick halten sich dabei die Unterschiede zu einem jetzigen GNOME-Desktop in Grenzen, lediglich die Entfernung des zweiten Panels am unteren Bildschimrand fällt rasch auf. Auch sonst setzt man auf Reduktion: Die kritisierte Fensterliste ist verschwunden, ebenso der Workspace-Switcher.

Activities

Eine Trennung in Systray und "normale" Gnome Panel Applets gibt es nicht mehr, beide werden nun direkt nebeneinander angezeigt. Das gewohnte Startmenü ist ebenfalls verschwunden, statt dessen prangt ein "Actvities"-Knopf am linken Rand des Panels.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ein Klick auf diesen Knopf (oder die Betätigung der Windows-Taste) offenbart dann, wohin die ganze aus dem Panel entfernte Funktionalität verschwunden ist: Der Desktop wird skaliert, ein Overlay sanft eingeblendet. Die offenen Fenster Exposé-ähnlich so angeordnet, dass man automatisch einen Überblick über alle geöffneten Programme bekommt.

Anwendungen

Im Overlay werden zunächst mal die zentralen Anwendungen angezeigt, künftig sollen hier auch noch die zuletzt benutzten Dokumente aufgerufen werden können. Zugriff auf weitere Anwendungen - oder später auch: Dokumente - bekommt man über das Suchfenster, das direkt beim Eintippen das Angebot auf der eigenen Festplatte durchsucht.

Anmerkung

Zwischendurch sei ein kurzer Disclaimer angebracht: Die GNOME Shell befindet sich derzeit noch in einem recht frühen Entwicklungszustand, vieles der geplanten Funktionalität ist derzeit noch nicht implementiert, von Feinschliff und Stabilitätsarbeit ist man noch ein stückweit entfernt. Insofern sind die Screenshots auch primär zur Illustration der grundlegenden Designs gedacht, bis zur ersten stabilen Release wird sich hier wohl noch so manches ändern.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine wichtige Rolle in der Konzeption der GNOME Shell nimmt die bessere Einbindung von Workspaces ein, sind mehrere davon aktiv, so werden sie an dieser Stelle direkt nebeneinander angezeigt. Wie von Compiz und Co. gewohnt, handelt es sich dabei um "Live Previews" der einzelnen Desktops, so laufen hier auch Videos ungestört weiter.

Aktivität

Zusätzlich will man aber auch von der starren Konzeption einer fixen Anzahl an Workspaces abgehen: Künftig sollen sich hier - je nach Bedarf - simpel weitere neue Arbeitsflächen eröffnen lassen. Wobei der Begriff "Workspace" eigentlich nicht mehr ganz trifft, konzeptionell spricht man nun lieber von Activities / Aktivitäten.

Arbeitsweisen

Immerhin sei dies in der Realität die Art, wie die meisten BenutzerInnen schon jetzt die virtuellen Desktops einsetzen, so die grundlegende Analyse: Mails auf den einen Workspace, Browser auf den zweiten, Konsole und Video wieder wo anders. Eine Arbeitsweise, die man weiter unterstützen will, indem für neue Aktivitäten automatisch ein neuer Desktop eröffnet wird. Wer will, soll die Anzahl der "Workspaces/Activities" aber auch weiterhin fix festlegen können.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Dass die Entwicklung der GNOME Shell derzeit so rasch voranschreitet, liegt auch daran, dass man sich kräftig bei bestehenden Projekten bedient hat: Dazu gehört etwa der gewohnte Fenstermanager Metacity, der allerdings auf die - mittlerweile von Intel entwickelte - 3D-Bibliothek Clutter portiert wurde und so wesentlich mächtigere Animationsmöglichkeiten bietet.

Entwicklung

Während also im Hintergrund weiterhin auf optimale Performance abzielende C-Bibliotheken ihre Arbeit tun, hat man sich in Hinblick auf die Gestaltung des Interfaces der GNOME-Shell für eine deutlich leichter zugängliche Programmiersprache entschieden: Javascript. Die Anbindung an die GNOME-Welt übernimmt das noch recht neue Gjs.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wer sich jetzt Sorge um die Performance macht: In unseren Tests erwiesen sich die Animationen der GNOME Shell auch auf einem älteren Rechner als durchgehend flüssig, für einen solch frühen Entwicklungszustand ein erfreuliches Ergebnis. Für einen Alltagseinsatz ist es freilich noch viel zu früh: Derzeit gibt es noch keine fertigen Pakete, die Installation ist entsprechend nicht gerade trivial, das resultierenden Programm verweigert noch auf so manchem System seinen Dienst. Auch zu Abstürzen neigt das Programm noch recht häufig.

Ausblick

Trotzdem wirken die dahinter stehenden Konzepte schon mal recht vielversprechend, es bleibt abzuwarten, ob die Entwicklung konsequent weitergeführt wird. Der aktuelle Entwicklungsplan sieht jedenfalls die Auslieferung eines ersten Prototyps parallel zu Veröffentlichung von GNOME 2.26 im März vor. Mit dem sechs Monate später geplanten GNOME 2.28 soll die GNOME Shell dann bereits optional zur Verfügung stehen, bevor sie mit GNOME 3.0 dann zur Default-Wahl wird - so denn die Community den Plänen zustimmt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Doch die GNOME Shell ist nur EIN Teil der beim User Experience Hackfest ausgetüftelten Neuerungen für den GNOME. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Einführung eines zentralen Präsenz-Konzepts im Desktop.

Status

Hinter dem eigenen BenutzerInnennamen verbirgt sich dann ein Menü, über das ähnlich wie bei einem Instant Messenger der aktuelle Status verändert werden kann. Dieser gilt dann aber nicht nur für ein Programm sondern Desktop-weit bzw. sogar darüber hinaus: Auch die Möglichkeit gleich den Status bei diversen Online-Services mitzusetzen ist angedacht.

Aktivitäten rund um das virtuelle "Ich"

Zusätzlich findet sich hier dann auch der Zugriff auf die eigenen Einstellungen sowie der Logout-Knopf. Auch der Wechsel auf andere BenutzerInnen kann an dieser Stelle vorgenommen werden. Zumindest dieser Teil der aktuellen Umbauten könnte es übrigens schon vor GNOME 3.0 in den Desktop schaffen, eine erste Version befindet sich bereits in den aktuellen Pre-Releases von GNOME 2.26.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Einen weiteren zentralen Problempunkt in Hinblick auf aktuelle Desktop-Umgebungen sieht man im Bereich File Management: So hatte schon im Rahmen der GUADEC GNOME-Mitgründer Federico Mena-Quintero in einer Keynote konstatiert, dass die momentan genutzten Ansätze in diesem Bereich in der Realität oft schlicht nicht funktionieren. Die meisten BenutzerInnen würden sich einfach nicht merken wo sie ihre Dateien abspeichern und diese dann entsprechend nicht mehr so ohne weiteres finden.

Journal

Mit einer Anleihe beim One Laptop per Child-Projekt bzw. dessen Oberfläche Sugar will man hier Abhilfe schaffen: Ein Journal, das einen Überblick über die bearbeiteten Dateien anhand eines Kalender bietet, sei der Denkweise der meisten NutzerInnen näher, zeigt man sich überzeugt.

Zeitgeist

Eine erste Entwicklung in diese Richtung gibt es nun mit "GNOME Zeitgeist", ob diese Entwicklung auch dann tatsächlich Einzug in den Standard-GNOME schafft, ist freilich derzeit noch vollkommen offen. Jedenfalls versteht man das Journal nur als Teil eines größeren Umbaus, so will man künftig verstärkt auf automatisches Speichern von Dokumenten setzen. Gleichzeitig experimentiert man mit Versionsmanagement, um leicht auch auf ältere Versionen einzelner Dateien zurückgreifen zu können. Auf Dateisystemsebene etwa im Wizbit-Projekt, Sun hat mit Open Solaris 2008.11 den GNOME gar bereits um einen eigenen - ZFS-basierten - Ansatz in diese Richtung erweitert.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die hier vorgestellten Projekte sind nur ein Ausschnitt dessen, was derzeit an neuen Ideen im GNOME-Projekt diskutiert wird, vieles davon aber noch ohne konkrete Implementation. So wurde auch die Einführung eines Sidebars mit Widgets als Panel-Applet-Ersatz angedacht, wobei allerdings ein Widget-Ansatz nicht durchgehend auf Zustimmung trifft.

GTK+

Dazu kommen eine Reihe von grundlegenden Verbesserungen auf GTK+-Ebene, so will man etwa künftig auch Alpha-Transparenz unterstützen. Gemeinsam mit dem ebenfalls geplanten CSS-ähnlichen Theme-Support würden sich so wesentlich mehr Möglichkeiten zum Interface-Design als bisher ergeben.

Pläne

Derzeit visiert man GNOME 3.0 grob für das 1. Halbjahr 2010 an, freilich kann sich dieser Termin ebenso verschieben, wie das Feature Set. Manches des hier Gezeigten mag es schon früher in den Desktop schaffen, anderes auch erst später (oder gar nicht, wenn die Community nicht vom konkreten Nutzen überzeugt werden kann). Klar ist jedenfalls: Es tut sich wieder Einiges am Linux-Desktop. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 14.12.2008)

Screenshot: Andreas Proschofsky