Die Zeugnisse in Ostösterreich sind verteilt. Aber sind sie tatsächlich objektives "Zeugnis" einer Schülerleistung? Wäre der Mathematik-Vierer beim Lehrer der Parallelklasse ein Dreier, an einem anderen Schulstandort vielleicht sogar ein Zweier geworden?

Fest steht: Auch das heimische Bildungswesen, das sich besonders ungern auf die Finger schauen lässt, wird langfristig nicht von internationalen Trends verschont bleiben. Und die lauten: Wettbewerb und Standards. Die Medien haben den Druck in diese Richtung mit teils äußerst fragwürdigen Rankings erhöht. Im nächsten Schuljahr wird das Bildungsministerium nun Wissensnormen für die dritte und die achte Schulstufe veröffentlichen (die in einer unredigierten Rohfassung bereits vorliegen). Im Prinzip ist das richtig, weil es eine Orientierungshilfe für Lehrer und Eltern darstellen kann.

In einer Gesellschaft, in der es immer weniger Nachwuchs gibt, will man die Ausbildung des (Einzel-)Kindes nicht mehr dem Zufall überlassen. Doch bei der Schulwahl müssen sich heimische Familien auf Tratsch verlassen: Auf der Gerüchtebörse erfährt man, welches Gymnasium ein Auffangbecken für jene ist, die es nirgendwo sonst zur Matura schaffen. Somit gibt es längst unterschiedliche Standards ein und desselben Schultyps innerhalb der Großstädte. Experten weisen seit langem darauf hin, dass Land-Hauptschulen ein besseres Niveau als so manche Großstadt-Gymnasien aufweisen.

In Frankreich wäre das undenkbar: Dort bekommen alle Schüler am gleichen Tag dieselben vorher geheimen Prüfungsfragen. Das kann hart und ungerecht sein, weil niemand die Tagesverfassung eines Prüflings oder eventuelle soziale Probleme berücksichtigt. Außerdem beschränkt es die Freiheit der Pädagogen, sich über Lehrpläne kühn hinwegzusetzen. Doch für einen gleichmäßigen Standard des Schulwesens hat dieses System eine geradezu zwingende Logik.

Die Suche nach verbindlichen Standards zeugt allerdings auch von zunehmender Ratlosigkeit darüber, was "Allgemeinbildung" eigentlich ausmachen soll. In den Siebzigerjahren waren die Naturwissenschaften hip, jetzt liegen Fremdsprachen und Informatik im Trend. Insgesamt ist jedoch die klassische humanistische Ausbildung in den Hintergrund gerückt, für die es in den nächsten Jahren - man möchte darauf wetten - wohl eine Renaissance geben wird. Erster Vorbote dafür ist der Bestseller "Was ist Bildung. Alles, was man wissen muss" des Hamburger Anglisten Dietrich Schwanitz. Außerdem berichten Manager internationaler Firmen immer häufiger, dass sie gerne Absolventen konservativer Schulen mit alten Sprachen im Fächerrepertoire einstellen. Weil die logisch zu denken gelernt hätten und flexibler als andere seien.

Die Zeit der pädagogischen Experimente scheint - zumindest vorübergehend - vorbei zu sein. Das Pendel schlägt derzeit in die andere Richtung aus. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.6.2002)