Den Österreichischen Gewerkschaftsbund in diesen Tagen als Arbeitnehmervertretung zu beobachten löst ein wenig Verwunderung aus, die ein Blick auf seine politisch-strategische Positionierung in der Debatte um die Osterweiterung der EU zu ungläubigem Staunen anwachsen lässt. Beides, das Verhalten der ÖGB-Spitzen im Postbusstreik und ihre Aussagen zur Osterweiterung, hat mehr mit der Funktionsträgheit des Gewerkschaftsbundes zu tun, als man annehmen möchte.Bei der Debatte um den Warnstreik der Busfahrer fiel an den Stellungnahmen von ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch zweierlei auf: einerseits seine fast religiöse Scheu, die Möglichkeit eines großen Arbeitsausstandes auch nur anzudenken, sollte die Regierung den Forderungen der Postler nicht nachkommen. Das bestätigt Verzetnitsch als Sozialpartner vom alten Schlag, und wenn er dann noch sagt, er sei überzeugt, dass die Regierung die Signale versteht, so wirkt das sehr treuherzig. Ob seine Genossen hoch auf dem gelben Wagen die Signale verstehen, die ihr Chef mit solchen Sätzen aussendet, ist fraglich. Wenn Verzetnitsch die Sorgen der Postgewerkschafter ernst nimmt, dass von der geplanten Privatisierung vermutlich nur jene Buslinien erfasst werden, die profitabel arbeiten - nach Angaben der Gewerkschafter die Hälfte -, dann kann seine Ansage in Richtung Regierung auch als Aufruf an die Busfahrer verstanden werden, sich um einen neuen Job umzuschauen. Vielleicht bleibt der in einigen Fällen sogar im Haus. Andrerseits bereiten Verzetnitsch und Kollegen ihren Gegnern immer wieder die Freude, sich ganz simpel auskontern zu lassen. Betriebsratobmann Robert Wurm habe gar keine Arbeitsplatzgarantie auf fünf Jahre gefordert, so Verzetnitsch in der Rückwärtsbewegung, das sei ja gar nicht möglich. Das Personal der Post wolle nur arbeiten: Dem Chef des einst mächtigen Gewerkschaftsbundes muss ein Satz, der so vor 100 Jahren hätte gesprochen werden können, bitter schmecken. Hilflosigkeit Natürlich ist die Hilflosigkeit der Gewerkschaften, die sich in solchen Argumenten äußert, symptomatisch und kein auf Österreich allein bezogenes Phänomen. Europaweit begann ihr Abstieg spätestens mit den Niederlagen der britischen Genossen im Kampf gegen Maggie Thatcher, gesellschaftspolitisch hatten sie ihren letzten bedeutenden Auftritt vermutlich bei den Pariser Studentenunruhen, als im Mai 1968 der Generalstreik ausgerufen wurde. Im mittlerweile veränderten europäischen Kontext gab der ÖGB jetzt wieder ein Zeichen, das die Politik wohl ebenfalls richtig zu deuten wissen wird: Still und leise wurde ein Positionspapier abgesegnet, das die 1999 fixierte kritische Position zur Osterweiterung völlig revidiert. Damals forderte der ÖGB programmatisch, dass es eine Erweiterung der Europäischen Union erst geben dürfe, wenn die Beitrittsländer 80 Prozent des heimischen Lohnniveaus erreicht hätten. Davon ist heute keine Rede mehr. Übrig ist nur noch die Forderung nach einer flexiblen Mitsprache in Arbeitsmarktfragen. Nicht dass die klugen Köpfe in der Gewerkschaft nicht schon vor drei Jahren gewusst hätten, dass ihre Forderung illusorisch, weil nicht durchsetzbar war. Dass sie es wussten und trotzdem in ihr damals wie heute geduldiges Positionspapier schrieben, ist ihnen vorzuwerfen - beweist das doch, wie wenig Zutrauen in die eigene Durchsetzungskraft vorhanden ist und wie sehr sich der ÖGB damit abgefunden hat. Weder kam eine gesamteuropäische Gewerkschaftsposition zustande, die sich auch nur annähernd in diese Richtung entwickelt hätte, noch konnte der ÖGB seine Forderung politisieren, die damit bleiben musste, was sie war: ein Brief an das Salzamt, mit dem sich die müden Gewerkschaftskämpen etwas Luft zufächeln konnten, wenn ihnen die Debatte um die Osterweiterung zu heiß wurde. So ähnlich wird auch Verzetnitschs Äußerung funktionieren, die Regierung verstehe die Signale des Warnstreiks der Postler sehr wohl. (DER STANDARD, Printausgabe 28.6.2002)