Die Melancholie fristet im Dancefloor naturgemäß ein Außenseiterdasein. Zwar schwingt man immer noch zu vertontem Herzensleid, zu Trennungs- und Weltschmerz-Hadern die Tanzprothesen, doch in der zeitgenössischen Dance-Kultur, deren Genese sich über einen radikalen Hedonismus definiert und lange Zeit auf ihr Recht auf Realitätsflucht gepocht hatte, schien kein Platz für derlei Emotionen. Eine Nacht ist schließlich kurz genug. Ausnahmen bestätigten den Normalfall. So verstanden es etwa die aus Manchester kommenden New Order immer schon, genau diese Gefühle auch in absoluten Tanzbodenheulern zu verankern: New Order seien "die melancholische Maßeinheit in der Popmusik", wie es der frühere Ö3-Musicbox-Redakteur Martin Blumenau in den ausgehenden 80er-Jahren auf den Punkt brachte. Doch nicht nur für New Order war dann bald einmal eine Zeit lang Schluss. Die boomende Rave- und Club-kultur verschwendete keine Zeit mit derlei Ballast, die Form wurde zum Inhalt, die Party wesentlicher Daseinszweck. Man erinnert sich - wenn man kann. Weil sich die Geschichte aber immer auch wiederholt und nicht nur Revivals darauf aufmerksam machen, dass es eine Zeit vor dem Jetzt gegeben hat, schien es absehbar, dass sich irgendjemand irgendwann dieser Qualität entsinnen würde. Alpinestars, zwei ebenfalls aus Manchester stammende Musiker, bedienen sich nun auf ihrem zweiten Album White Noise ausgiebigst aus diesem Fundus. Dabei zitieren sie nicht nur die bereits erwähnten New Order, sondern auch deren Vorgänger, die legendären Joy Division. Sie evozieren mit Synthesizersounds, die nach Individuen im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner namens Leben klingen, eine ähnlich desperate Coolness wie die Mannen um Ian Curtis. Allerdings tragen sie diesen Hader weitgehend am Tanzboden aus. Schließlich verbrachten Richard Woolgar und Glyn Thomas nicht umsonst den einen oder anderen Urlaub auf Ibiza. Nach dem noch stärker Richtung Track angelegten Debüt ,B.A.S.I.C., versuchen sich die bislang als Synthie-Duo arbeitenden Alpinestars auf ,White Noise, jedoch verstärkt am Songformat und entsprechen mit einem konzeptuell der Kälte anempfohlenen Album nicht nur ihrem Namen, sondern setzen dieses als traditionelle Band um. Brian Molko von Placebo leiht dem wunderbar getriebenen ,Carbon Kid, Stimme und Gitarre, während Red-Snapper-Drummer Richard Thair bei ein paar Stücken über die Trommeln zieht. Neben den besten Synthie-Pop-Songs (Snow Patrol, NuSEX City, Hotel Parallel . . .) seit langem tauchen immer wieder ruhige Kleinode wie der ,Partisan Song, auf, in dem eine Akustikgitarre die Stimme von Abi Tucker begleitet. Oder das traurig-schöne ,Crystalnight,. In dieser pianodominierten Midtempo-Nummer tritt am deutlichsten die kühle Schönheit von Joy Division zutage: "I've got the spirit, but lose the feeling", sang Ian Curtis einst in ,Disorder,. Alpinestars fügen diese beiden Komponenten neu zusammen. (Karl Fluch/derStandard/rondo/28/06/02)