Wien - Rechtsanwalt Helmut Graupner ist empört. Trotz Aufhebung des Schwulen- "Schutzalters" durch den Verfassungsgerichtshof und der Anweisung des Justizministeriums, bei einschlägigen Verfahren "innezuhalten", würden "Verurteilte nach Paragraf 209 weiter in den Gefängnissen schmoren". Jene nämlich, die anders gegen das Schwulen-"Schutzalter" verstoßen hätten als in der gleichheitswidrigen Konstellation der "wechselnden Strafbarkeit". Die also nicht zu Beginn ihrer Beziehung 15 und 17 Jahre (legal), zwei Jahre später 17 und 19 (illegal), wieder zwei Jahre später 19 und 21 (erneut gesetzeskonform) geliebt hätten. Nur bei diesen "209er"-Fällen kann sich Justizminister Dieter Böhmdorfer (FPÖ) aber "eine Begnadigung vorstellen". Was in Anwalt Graupner den Ärger hochkommen lässt: "Jener in Garsten einsitzende 40-Jährige, dessen Verurteilung beim Menschenrechtsgerichtshof anhängig ist, hätte also keine Chance." Dem widerspricht man in der Kanzlei des Bundespräsidenten. Chancen auf Begnadigung gäbe es, "wenn der Fall, etwa von den Angehörigen, direkt an uns herangetragen wird". Zwar erfolgten Begnadigungen durch den Bundespräsidenten in der Regel "auf namentlichen Vorschlag aus dem Justizministerium". Werde jedoch ein Einzelfall dem Staatsoberhaupt direkt unterbreitet, könne er sich mit der Bitte um Prüfung ans Ministerium wenden. Im parlamentarischen Justizausschuss wurde der von den Grünen eingebrachte Antrag auf Streichung des "209er" von ÖVP und FPÖ am Mittwoch abgelehnt. Die ÖVP werde wohl vor der Sommerpause einen zusätzlichen Strafrechtsparagrafen gegen "Missbrauch" präsentieren, meinte Grünen-Justizsprecherin Terezija Stoisits. Eine Perspektive, die bei FPÖ-Abgeordneten Eduard Mainoni gemischte Gefühle auslöst: "Um eine angebliche Gesetzeslücke zu schließen, wird eine sehr weit reichende Änderung, auch für Heterosexuelle, ins Auge gefasst." (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 27.6.2002)