Wien - Heimische Börsenexperten erwarten nach den von WorldCom vermeldeten Falschbuchungen in Höhe von 3,85 Mrd. Dollar (3,94 Mrd. Euro) weitere Verluste an den Krisen geschüttelten Aktienmärkten. Das ohnehin schon am Boden liegende Investorenvertrauen erhält mit diesen Meldungen eine neuerliche Erschütterung, sagte der Chefanalyst der Raiffeisen Zentralbank (RZB), Peter Brezinschek, am Mittwoch. "WorldCom ist ein weiterer Baustein zur Rechtfertigung des Käuferstreiks", sagte der Analyst. Kurzfristig seien starke Kursverluste bei hohen Umsätzen zu erwarten. Dieser "Sell-off" werde zwar möglicherweise zu einer technischen Erholung in den folgenden Tagen führen, die RZB bezweifelt aber die Nachhaltigkeit einer etwaigen Gegenbewegung. Erst ab Mitte, Ende Juli dürften sich wieder Silberstreifen am Börsenhorizont zeigen. Übertreibung nach unten Monika Rosen von Asset Management GmbH der Bank Austria-Gruppe fühlt sich an die Boomphase im Frühjahr 2000 erinnert, "wo die Stimmung der Anleger durch nichts eingetrübt werden konnte. Momentan scheint nichts das Sentiment des Marktes verbessern zu können", insofern scheine eine Übertreibung nach unten wahrscheinlich. Fälle wie Enron, Tyco ImClone und WorldCom würden die Vertrauensbasis zwischen Investoren und Unternehmen belasten. Zudem gebe es Hinweise, dass sich die US-Konjunktur nicht so rasch erhole wie noch vor kurzem angenommen. Der US-Konsument als bisheriger "Held der Rezession" zeige möglicherweise Ermüdungserscheinungen. Die geopolitische Lage im Nahen Osten und neue Terrordrohungen würden die Märkte ebenfalls belasten. Gewichtung neutral In ihrer Asset Allocation hat die RZB die Gewichtung von Aktien auf neutral gestellt. Sobald eine Bodenbildung absehbar wird, will das Institut wegen der weiterhin erwarteten Konjunkturerholung den Aktienanteil in seinen Portfolios wieder erhöhen und den Kauf von Aktien empfehlen. Vorerst rät die RZB aber bis von einem Aktien-Engagement ab. Die Bewertung der europäischen Aktienmärkte hat laut RZB erstmals seit September 2001 wieder einen sehr attraktiven Bereich erreicht. Hauptverantwortlich dafür sind die niedrigen Kurs/Gewinn-Verhältnisse (KGV) für 2002 der gemeinsam mehr als 50 Prozent der Marktkapitalisierung ausmachenden Finanz- und Energiewerte. Belastungsfaktoren Für den globalen Finanzbereich gebe es zur Zeit ein Bündel von Belastungsfaktoren. Worldcom zeige, dass noch weitere Risikovorsorgen für aushaftende Kredite nötig sein werden. Zudem stelle Brasilien für Banken in den USA und in Spanien eine potenzielle Belastung dar. Auch hatten die fallenden Aktienmärkte die Kapitaldeckung der Versicherungen reduziert, sodass vereinzelte Finanzspritzen der entsprechenden Mutterbanken oder Kapitalerhöhungen nötig seien. Damit würden Revisionen in der Gewinnerwartung 2002 für den Finanzsektor im Ausmaß von rund zehn Prozent wahrscheinlich. Weitere Anstiege der Anleihennotierungen und vice versa Renditerückgänge erwartet die RZB bei kurzfristigen weiteren Aktienverlusten. Da die Konjunkturerholung immer noch intakt sei und die US-Notenbank Fed noch heuer die Zinsen um rund 75 Basispunkte anheben dürfte, könnten Renditen mittel- und längerfristig steigen. Nach einer Bodenbildung der Aktienmärkte sollten kurzfristig orientierte Investoren lange Laufzeiten verkaufen. Mittel- und längerfristig orientierten Investoren rät die RZB bereits auf dem aktuellen Niveau zu Anleihenverkäufen. Angesichts der zuletzt hohen Korrelation von US-Aktien und dem US-Dollar waren die Anstiege des Euro auf neue Jahreshochs über 0,994 Dollar nach den starken Aktienverlusten nicht überraschend. Die RZB bleibt längerfristig pessimistisch für den Dollar und sieht den Euro nächstes Jahr nachhaltig und deutlich über der Parität. Kurzfristig scheine der Anstieg aber weitgehend ausgereizt. Bis September könnte der Euro aber wieder auf 0,98 Dollar zurückgehen. (APA)