Einer fehlte noch in der Reihe der FDP-Granden: Zwar haben die Liberalen einen Kanzlerkandidaten, der mit einer goldenen 18 unter die Schuhsohlen montiert herumläuft, und einen fallschirmspringenden Parteivize, der sich schonungslos auch in geistige Abgründe stürzt. Doch erst jetzt wissen sie auch den - ganz entsprechend der jüngsten FDP-Tradition selbst ernannten - "deutschen Kennedy" in ihren Reihen: Seit dem 21. Juni tourt Christoph Schlingensief mit seinem "Möllemobil" durch das Rheinland, um im Rahmen des derzeit in Duisburg, Düsseldorf, Köln und Bonn gastierenden Festivals Theater der Welt " den stimmungsvollen FDP-Wahlkampf weiter anzuheizen. Nach der Bedenkenlosigkeit, ja Ignoranz, mit der im aktuellen öffentlichen Diskurs von Möllemann bis Walser Israelkritik, Fragen der Vergangenheitsbewältigung und persönliche Antipathien miteinander vermischt worden sind und einem gar nicht einmal sonderlich verhohlenen Antisemitismus Vorschub geleistet haben, war ein Schlingensief-Kommentar geradezu überfällig geworden. Wahlkampf raus! Die Einladung durch Matthias Lilienthal, den "Theater der Welt"-Kurator und langjährigen Chefdramaturgen von Frank Castorfs Berliner Volksbühne, zu einer Aktion in Möllemanns Rheinland war kaum mehr als eine Formsache. Die umstrittene Wiener Big-Brother-Parodie Ausländer raus , bei der die Österreicher täglich Asylbewerber aus dem Container und damit aus dem eigenen Land "herauswählen" konnten, hatten Lilienthal und Schlingensief noch zusammen konzipiert. Die jüngste Aktion 18 wird als Fortsetzung des Wiener Projektes annonciert, "Christoph Schlingensief stellt das Wahlkampfprogramm einer Partei aus und setzt es zusammen mit seinen Berliner Freakstars und Gästen um". Drei Stunden lang redete sich Christoph Schlingensief am Sonntagabend zum programmatischen Auftakt seiner Aktion 18 im Duisburger Stadttheater warm, er forderte lautstark "Tötet Jürgen Möllemann!", durchbohrte mit einer Bohrmaschine ein Foto des FDP-Politikers und hielt sich dann dessen Konterfei vors Gesicht mit den Worten: "Ich sehe jetzt aus den Augen eines Antisemiten." Politische Brisanz erhielt die Veranstaltung durch die Mitwirkung des innenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im Bundestag, Cem Özdemir. Huhn, geschockt Montagmittag dann verteilte Schlingensief vor der Düsseldorfer Firma Wirtschafts-und Exportberatung Jürgen W. Möllemann 25 Kilo Federn, um das angekündigte Teeren und Federn des FDP-Politikers zu vollstrecken. Ein verschrecktes Huhn flog umstehenden Zuschauern auf die Schultern, allerdings ohne dass eine veritable Opferung des Vogels im Sinne der Wiener Aktionisten geplant gewesen wäre. Ein Sharon-Konterfei riss die Polizei hingegen umgehend von der Strohpuppe herunter, die Schlingensief von einem großen Galgen herabbaumeln lassen wollte. Nachdem er das Möllehaus mit einigen stinkenden Salzheringen beworfen hatte, zündete er die auf dem Boden liegende Puppe samt einer israelischen Flagge an mit der Bemerkung, dass es Möllemanns Schuld sei, wenn heute in Deutschland wieder Davidsstern-Flaggen in Flammen aufgingen. Die ganze Aktion verlief in einer geradezu rituell anmutenden Stille. Die Polizei löschte das Feuer und nahm Schlingensiefs Personalien auf. Der einzige Gegendemonstrant posierte für die Presse mit seinem Plakat und der Einsatzleiter der Polizei buchstabierte geduldig seinen komplizierten Namen in die Mikrofone der anwesenden Journalisten. Fortsetzung folgt. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.6.2002)