Graz - ". . . den Blick nach oben", so lautet das Motto der diesjährigen styriarte : Sie will den metaphysisch-religiösen Seiten aller Kunst nachspüren - und so erklangen am Samstagnachmittag in insgesamt sechs Grazer Kirchen kurze geistliche Konzerte, die auch als eine Vorschau auf die kom- menden Veranstaltungen gedacht waren.

Doch die eigentliche Geistigkeit stellte sich, wenngleich in sehr diesseitigem Gewand, erst am Abend ein, als Nikolaus Harnoncourt und mit ihm das bestens disponierte Chamber Orchestra of Europe mit der Coriolan-Ouvertüre, dem fünften Klavierkonzert und der siebten Symphonie drei Beethovensche Energiepakete auspackten. Extreme dynamische Kontraste, eine stark erzählerische Grundhaltung und der spürbare Wille zum authentischen Ausdruck - allesamt typisch Harnoncourt- sche Merkmale - prägten die Ouvertüre als eine in Klang gegossene Tragödie. Die Überraschung des Abends aber war Pierre-Laurent Aimard, der Solist - oder sollte man sagen Kämpfer? - im gerne so monumental geglätteten Es-Dur-Konzert.

Aimard und Harnoncourt, das war eine Diskussion, ein Wettstreit, eine Versöhnung, eine Umarmung - schlicht: ein Kräftemessen auf symphonischer Ebene; und zugleich eine Präsentation zweier großer Musiker, die ihre Grenzen auskosteten und dem verblüfften Publikum ein Feuerwerk an Spontaneität und Spielwitz präsentierten.

Am deutlichsten wurde dies am Ende der Durchführung des Kopfsatzes, wo nicht nur zwei Tempoebenen, sondern zwei Haltungen aufeinander prallten - einen kreativ auskomponierten Konflikt zum Ausdruck bringend, den Aimard durch den Übergang von seiner perkussiven Spielweise in perlendes Parlando und Harnoncourt durch gezieltes sich Heranstasten an Aimards Klangsprache fulminant auflösten.

Diese nicht ohne Blessuren am Podium des ausverkauften Grazer Stephaniensaales ausgetragene Streitkultur wollte kein klassisches Ebenmaß, sondern die Extreme dieses Werkes aufzeigen - eine Herausforderung, die vom Publikum dankbar angenommen wurde.

Nach der Pause dann die Siebte, von Harnoncourt als lauerndes Riesencrescendo in Szene gesetzt. Wie so oft überraschte der trotz seiner kleinen Besetzung (drei Kontrabässe) markante Orchesterklang bei gleichzeitiger hoher Transparenz der Stimmen, vor allem aber die knochenhart eingesetzte Pauke (Geoffrey Prentice). Diese während Kriegszeiten komponierte Musik jubelt über die schließlich wirklich eingetretene Befreiung. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2002)