Foto:Vitra-Design-Berlin
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Wie auf einer letzten Kontrollrunde geht Ettore Sottsass zwischen seinen Vitrinen im Vitra-Design-Museum umher. Er scheint zufrieden, hat die Arme auf dem Rücken verschränkt. Wenige Stunden vor der Eröffnung der Schau haucht neben ihm eine junge Frau an das Glas und poliert die Stelle mit dem Ärmel ihres Pullovers. Der Meister lächelt und klopft ihr auf die Schulter. Seine Arbeit ist getan. Sottsass' Aufgabe war es, aus der 1200 Stücke umfassenden Sammlung "Art de Cartier" Schmuckstücke auszuwählen und sie in Szene zu setzen. Er entschied sich für 209. Als ihm Eric Nussbaum, der Direktor der Sammlung zu Beginn des Projektes einen ganzen Haufen Juwelen auf einem 30 Meter langen Tisch zur Begutachtung präsentierte, sei Sottsass, wie er selbst sagt, total geschockt gewesen. "Das ist, wie wenn auf einmal dreißig nackte Frauen vor dir stehen oder man dir 50 Millionen Dollar hinlegt oder plötzlich 100 Schmetterlinge durchs Zimmer flattern", meint er weiter und beschreibt sein Auswahlverfahren so: " Ich habe manche Stücke wegen ihrer historischen Bedeutung ausgewählt, obwohl sie mir gar nicht so gut gefallen, manche wegen der Steine, andere wegen ihrer lustigen Motive oder des erkennbaren Einflusses alter Kulturen. Das Problem ist: Nach welchen Gesichtspunkten bewertet man als Designer und Architekt Schmuck? Nach dem Preis, oder der Tragbarkeit?" Die Objekte, so will es der Meister, müssen allein im Raum sein. Er bringt die Stücke als Überraschung herüber, lässt sie für sich sprechen. Er will bei ihrem Anblick ein "ah, fantastico" hören, so als würde man, wie er es ausdrückt, auf einmal einem tollen Schmetterling begegnen. Die Stücke thronen in Vitrinen, die wie kleine Häuschen wirken. Das Licht, das Sottsass als wichtigstes Gestaltungselement der Ausstellung bezeichnet, ist so eingesetzt, wie es den Objekten gut tut. Sie sollen vom Licht leben - und es weitergeben. Das Glas reflektiert null und nix. Der Raum ist dunkel. Gezeigt werden Diademe, Broschen, Ketten, aber auch Füllfedern oder Zigarettenetuis. Getragen wurden sie von Königinnen, Maharadschas und Filmstars. Geprägt sind sie von Stilrichtungen wie dem Art déco, dem Girlandenstil des frühen 20. Jhdts. oder von afrikanischen, orien- talischen und chinesischen Motiven. Es sind Diamanten, Rubine, Smaragde, Gold-, Platin- und Silberstücke, die die Ausstellung in einen kleinen funkelnden Sternenhimmel verwandeln. Allein das Halsband "Krokodile" besteht aus 1023 kanariengelben Brillanten und 1060 Smaragden. Den Wert dieser Megaklunker will Monsieur Nussbaum nicht preisgeben. Doch der eigentliche Wert von Schmuck besteht für Sottsass sowieso in seiner rituellen Kraft, in seiner Wirkung. Ohne die funktioniere keine Schmuckstück. Sottsass zeigt auch Entwurfszeichnungen, die den Weg von der Idee bis zum fertigen Objekt weisen, sie kommen als eine Art hinterleuchtete Lichttafeln zwischen seinen schwarzen Schmucktempeln als strukturelles Element zum Scheinen. Sottsass, an dessen Hinterkopf ein graues, geflochtenes Zöpfchen baumelt, ist nervös und gibt es zu. Nicht weil hier in Berlin ein Mordsrummel um seine zweifellos bedeutende Person veranstaltet wird. Das kurz bevorstehende Fußballspiel Italien gegen Mexiko versetzt ihn in Wallung. Dabei ist er doch eigentlich Österreicher, oder? Wenigstens ein klitzekleines bisschen? "Das Einzige, das an mir österreichisch ist, sagt meine Frau, ist die Art und Weise, wie ich Dinge angehe. Die Österreicher haben oft eine so saure Art. Sie sind sich einer Sache nie wirklich sicher. Ich bin mir auch nie sicher", sagt Sottsass. So findet der Weltklassedesigner auch keine eindeutige Antwort auf die Frage, was denn nun gutes Design sei. "Zwischen Design und Industrial Design liegt eine ganze weite Welt. Es ist wie in der Literatur. Ist ein Telegramm, das ich jemanden schicke, nicht auch Literatur, so wie ein berühmtes Gedicht? Heute ist ja schon jeder Designer, sogar ein Friseur. Ich meine, gutes Design ist die Antwort auf Notwendigkeiten. Aber das ist eine sehr komplizierte und endlose Angelegenheit." Inzwischen führt Mexiko 1 : 0. "Jetzt bin ich nicht mehr nervös", kommentiert Sottsass den Spielstand. Neugierde auf die Zukunft des Designs negiert er, der 50 Jahre Designgeschichte mitträgt. Das Wort "neu" benutzt er nie und sagt: "Ich weiß nicht, was Zukunft ist, Zeit ist jetzt", und jetzt heißt in diesem Moment der Ausgleich für Italien. (Michael Hausenblas/DER STANDARD/rondo/21/06/02)