Jerusalem/Ramallah - Als Reaktion auf den Selbstmordanschlag in Jerusalem vom Mittwochabend hat Israel am Donnerstag seine Militäroperationen im Westjordanland ausgeweitet. Panzerverbände rückten nach palästinensischen Angaben in Tulkarem ein. Zuvor hatten Armee-Einheiten bereits Bethlehem, drei Ortschaften bei Nablus und Betunia bei Ramallah besetzt. Auch die Autonomiestädte Kalkilia und Jenin blieben unter israelischer Kontrolle. Im palästinensischen Rundfunk wurde seit den frühen Morgenstunden zu jeder vollen Stunde eine Erklärung von Präsident Yasser Arafat wiederholt, in der er zum sofortigen Ende der Selbstmordanschläge aufrief. Arafat betonte in der Erklärung in arabischer Sprache, die Anschläge auf die israelische Zivilbevölkerung stünden in keinem Zusammenhang mit dem "legitimen Kampf des palästinensischen Volkes gegen die israelische Besatzung". Die Attentate wären für Israel der beste Vorwand, seine militärischen Aktionen fortzusetzen und "Tausende unserer unschuldigen Bürger" zu töten. Der palästinensische Sicherheitschef im Westjordanland, Oberst Jibril Rajoub, hat die Selbstmordattentäter beschuldigt, dem israelischen Regierungschef Ariel Sharon in die Hände zu spielen. "Alle palästinensischen Kräfte müssten endlich begreifen, dass solche Handlungen Sharon nützen und ihm gegenüber der internationalen Öffentlichkeit den Rücken stärken", sagte Rajoub der arabischen Zeitung "Asharq al Awsat". Der palästinensische Widerstand müsse sich auf die seit 1967 besetzten Gebiete konzentrieren. Sharon: Palästinenser in "Achse des Terrors" Sharon hat der palästinensischen Autonomiebehörde neuerlich vorgeworfen, sie bilde zusammen mit dem Iran, dem Irak, Syrien und dem Terror-Drahtzieher Osama bin Laden eine "Achse des Terrors". Die Pläne des Regierungschefs zur schrittweisen Wiederbesetzung palästinensischer Autonomiegebiete haben unterdessen zu Spannungen in der Koalitionsregierung geführt. Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer, Vorsitzender der Arbeiterpartei, wandte sich am Donnerstag strikt gegen dieses Vorhaben von Likud-Chef Sharon. Diese "Form der Bestrafung" sei nicht angemessen, sagte Ben-Eliezer. Eine längerfristige Besetzung würde außerdem bedeuten, dass sich Israel wieder um Verwaltungsfragen kümmern müsste, vom Gesundheitswesen bis hin zur Abwasserentsorgung. Dies sei nicht beabsichtigt. Vize-Verteidigungsministerin Dalia Rabin-Pelossof, Tochter des 1995 ermordeten Ministerpräsidenten und Arbeiterpartei-Vorsitzenden Yitzhak Rabin, plädiert dafür, dass die Arbeiterpartei Sharons Koalition der Nationalen Einheit verlässt. Bei dem Selbstmordanschlag am Mittwochabend in Jerusalem waren sechs Israelis und der Attentäter getötet worden. Zu der Tat bekannten sich die "Al-Aksa-Märtyrerbrigaden", die aus radikalen Elementen von Arafats Fatah-Bewegung zusammengesetzt sind. Drei Stunden danach griffen israelische Kampfhubschrauber Ziele im Gaza-Streifen an. Zugleich wurden die Militäraktionen im Westjordanland ausgeweitet, wo die Streitkräfte bereits die Städte Jenin und Kalkilia besetzt hatten. Nach den jüngsten Anschlägen in Jerusalem verschob US-Präsident George W. Bush seine mit Spannung erwartete Rede zur Lage im Nahen Osten auf unbestimmte Zeit. Eine solche Rede könne derzeit kaum einen positiven Einfluss auf die Situation haben, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer. Auch eine für kommende Woche ins Auge gefasste Reise von US-Außenminister Colin Powell in die Krisenregion wurde vorerst annulliert. (APA/dpa/Reuters/AP)