Graz - Schon seit Jahrzehnten prägt ein markanter - vielfach kritisierter - Wesenszug die Grazer Stadtarchitektur: Angst vor der eigenen Größe. Nach ersten zaghaften Versuchen, auch in der zweitgrößten Stadt Österreichs engen städtischen Raum für den Bau von Hochhäusern zu nutzen, hatte sich die Stadtverwaltung zu Beginn der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts - nach Protesten der Grazer Bürger - zu einem "Hochhaus-Verbot" verpflichtet. Seitdem herrscht in der steirischen Landeshauptstadt eine gewisse "Schlumpfhausen"-Mentalität, sticheln Kritiker aus der Architekturszene, die jetzt Unterstützung von ungewohnter Seite bekommen. Die Grazer Grünen wollen eine Initiative zur Aufhebung des Verbotes starten. Die Grünen-Spitzenkandidatin für die Gemeinderatswahlen 2003, Sigrid Binder, verlangt ein "radikales Umdenken" der Grazer Stadtpolitik. Binder im Gespräch mit dem S TANDARD : "Wir müssen endlich diese Tradition, dass keine Hochhäuser gebaut werden dürfen, durchbrechen. Es ist im Jahr 2002, so denke ich, ein gesellschaftlicher und kultureller Auftrag, hier endlich eine Wende einzuleiten."

Gerade im Hinblick auf die EU-Erweiterung böte sich die Chance, Graz als "modernes architektonisches Zentrum, mit spannender Architektur, in der auch Hochbauten ihren Platz haben müssen, darzustellen". Binder: "Ich wünsche mir, dass nach Jahren des Stillstandes markante ästhetische Linien in der Stadt gezogen werden."

Vorerst sei an die Möglichkeit gedacht, Büro- und Geschäftshäuser aus Graz "herauswachsen zu lassen". Als ideale erste Projektflächen seien die Bereiche der Grazer Einfahrten Conrad-von-Hötzendorfstraße bis zum Arnold-Schwarzenegger-Fußballstadion sowie die Kärntner Straße denkbar.

Freilich seien auch Entwürfe für hochgeschoßigen Wohnbau nicht auszuschließen. Wahrscheinlich in einigen Jahren sogar notwendig, zumal die Zersiedelung durch die Niedrigbauten kaum noch Platz lasse für eine optimale Stadtentwicklung. Binder: "Je weniger Boden ich verbaue, desto mehr Platz schaffe ich außerdem für die Allgemeinheit." Die Forderung nach einem Aufbrechen des Hochhaus-Verbotes müsse freilich einhergehen mit entsprechend umfassenden Stadtentwickungskonzepten, in die die skeptischen Grazer Bewohner in intensiven Informationsprozessen miteingebunden werden müssten.

Binder will die - auch bei den Grünen noch engagiert diskutierte - Initiative "Pro Hochhaus" im Herbst bei einer Enquete mit namhaften Architekten weiter konkretisieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2002)