Inland
Zwischen "Zuckerbrot und Peitsche"
In Sevilla wollen die EU-Länder harte Maßnahmen gegen illegale Einwanderung beschließen
Die Wahlerfolge der Rechtsnationalisten quer durch Europa
haben die Staats- und Regierungschefs der EU aufgeschreckt. Beim Gipfel in Sevilla am Freitag und Samstag
wollen sie einen möglichst
spektakulären Aktionsplan
gegen illegale Einwanderung
beschließen. Doch bereits im
Vorfeld zeichneten sich Differenzen zwischen den Hardlinern, die am liebsten eine
Festung Europa errichten
würden und jenen ab, die auf
die humanitäre Tradition der
Union pochen.Heftig umstritten ist ein
Vorstoß des britischen Premiers Tony Blair. Demnach
sollte es zu finanziellen Sanktionen gegenüber jenen Drittstaaten kommen, die Flüchtlinge nicht an der illegalen
Einwanderung in die EU hindern oder nicht "kooperieren".
Als nicht "kooperationswillig"
gelten in EU-Kreisen Länder
wie Albanien, Algerien oder
die Türkei, wenn sie z. B.
Schiffe mit Flüchtlingen an
Bord nicht am Auslaufen hindern. Diskutiert wird das Aussetzen der Gelder oder der
Kooperationsabkommen mit
den betroffenen Ländern. "Es
geht darum, mehr Ordnung
und Regeln in das System zu
bringen, mittels dessen Menschen nach Europa kommen",
argumentiert Blair.
Sowohl Italien als auch Spanien haben sich unmittelbar den britischen Vorstößen
angeschlossen. Die beiden
Länder sind derzeit besonders
von Fluchtbewegungen über
das Mittelmeer aus Nordafrika
und vom Balkan betroffen.
Dem Vorschlag konnten etliche Innenminister der Union
einiges abgewinnen. In der
Diktion von Innenminister
Ernst Strasser (ÖVP) lautet der
zustimmende Satz: "Ich bin
für eine bessere Koordinierung der Entwicklungshilfeaktivitäten mit den Migrationsströmen." Sein deutscher
Kollege Otto Schily erklärte:
"Wer sich nicht an seine
selbstverständlichen Verpflichtungen hält, muss zu
spüren bekommen, dass das
Konsequenzen hat."
Gleichgewicht finden
Gegen die Idee stellte sich
der schwedische Premier Gö_ran Persson: Es sei wenig
sinnvoll, Ländern, die bereits
arm sind, EU-Hilfsgelder zu
verweigern. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer
will "ein Gleichgewicht zwischen der großen humanitären Tradition der EU und einer
wirksamen Bekämpfung der
illegalen Einwanderung finden". Die Einschränkung von
Entwicklungshilfe solle nur
als "letztes Instrument" eingesetzt werden. Widerstände
gibt es auch in Frankreich.
Einen Mittelweg versucht
EU-Kommissionspräsident
Romano Prodi. Die EU müsse
auf die Erwartungen der Bevölkerungen in der Union reagieren, "ohne aber dabei
Schreckensszenarien aufzubauen, die es gar nicht gibt".
Die legale Einwanderung sei
etwas Positives für Europa.
In der EU ist die Migrationspolitik seit Jahren heftig
umstritten. Bereits 1998 sorgte
ein "Strategiepapier zur Asyl-
und Einwanderungspolitik"
für Aufregung. Darin wird in
den Beziehungen mit den
Herkunfts- und Transitländern eine Politik von "Zuckerbrot und Peitsche" vorgeschlagen. Ebendiese Politik
wird nun umgesetzt.
Im Aufbau ist die Datenbank Eurodac mit den Fingerabdrücken aller Asylwerber in
der EU. Das System soll sicherstellen, dass die Antragsteller nicht in mehreren EU-
Staaten Ansuchen stellen. Bei
der Einreise in das EU-Gebiet
werden von ihnen Fingerprints genommen, digitalisiert
und an die Datenbank übermittelt, um sie abzugleichen.
Falls sich herausstellt, dass
schon anderswo oder unter
anderem Namen Asyl beantragt wurde, könnten sie zurückgeschoben werden.(Der STANDARD, Printausgabe, 20.6.2002)