Jerusalem - In Jerusalem hat sich am Dienstag wieder ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und nach Polizeiangaben 19 Menschen mit in den Tod gerissen. Die Bombe detonierte im Berufsverkehr in einem Bus, in dem sich auch einige Schüler befanden. Premier Ariel Sharon sprach sich nach dem Anschlag vehement gegen einen Palästinenserstaat aus. Beinahe jeder diplomatische Anlauf der USA ist bisher von palästinensischem Selbstmordterror empfangen worden - unmittelbar vor einer lange erwarteten Nahost-Rede von Präsident George Bush wurde am Dienstag in Jerusalem abermals ein Autobus von einer Bombe zerrissen, 19 Menschen und der Attentäter wurden getötet und mehr als 40 Menschen verletzt. Kurz nach der Explosion begab sich Premier Ariel Sharon erstmals an den Ort eines derartigen Anschlags, die Toten lagen in schwarze Säcke gehüllt noch in einer Reihe auf dem Gehsteig. In zornigem Ton wandte sich Sharon gegen die Gründung eines Palästinenserstaats, die Bush jetzt wahrscheinlich empfehlen will: "Was für einen palästinensischen Staat meinen Sie, wovon reden Sie überhaupt?" Sharon schien Gegenmaßnahmen anzukündigen - "Gegen diesen Terror müssen wir kämpfen, und das werden wir tun" -, man rechnete aber damit, dass Israel vor der Bush-Rede keinen schweren Militärschlag starten würde. Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer ordnete an, sofort mit dem geplanten Bau eines 50 Kilometer langen Sicherheitszauns an der Peripherie von Jerusalem zu beginnen. Schon seit Sonntag war die Polizei in höchster Alarmbereitschaft gewesen, weil Informationen vorlagen, wonach möglicherweise mehrere Selbstmordattentäter nach Jerusalem unterwegs waren oder sich schon dort aufhielten, alle Kontrollen konnten aber den Attentäter nicht abfangen, der vermutlich aus Bethlehem kommend den nahen Südrand der Hauptstadt erreicht hatte. Die Explosion ereignete sich unmittelbar vor Schulbeginn gegen acht Uhr früh Ortszeit - ob der Terrorist die Linie 32A absichtlich ausgesucht hatte, weil sie von den Schülern einer nahe gelegenen Schule benützt wird, war nicht klar, doch unter den Opfern befinden sich mehrere Jugendliche. Anrufer bekannten sich gegenüber Fernseh- und Agenturredaktionen im Namen verschiedener Palästinensergruppen zu dem Anschlag, tatsächlich dürfte die "Hamas" dahinterstecken, die den 22-jährigen Mohammed al-Ghoul, einen Studenten an der An-Najah-Universität in Nablus, als Täter nannte. Der palästinensische Minister Saeb Erekat verurteilte den Anschlag: "Wir sind gegen das Töten von Zivilisten", sagte er, aber die Verantwortung liege nicht bei der Autonomiebehörde, sondern bei Israel, das das Westjordanland militärisch kontrolliere: "Statt uns zu beschuldigen, sollten die Israelis an den Verhandlungstisch zurückkehren." Unklar war, ob der Anschlag noch Einfluss auf die Bush-Rede haben würde, auf die beide Seiten mit gemischten Gefühlen warteten. Zuletzt waren etwa Ariel Sharon, der palästinensische Minister Nabil Shaath, der ägyptische Präsident Hosni Mubarak und der saudische Außenminister Saud el-Feisal in Washington defiliert, um Bush für ihre jeweilige Linie einzunehmen. Der in London erscheinenden arabischen Zeitung Al-Hayat zufolge, die sich auf ägyptische Quellen beruft, will Bush die baldige Gründung eines Palästinenserstaats mit provisorischen Grenzen vorschlagen, die Bedingungen sollen bei einen "internationalen Treffen" im September in Washington ausgehandelt werden. Vermutlich wird Bush von den Palästinensern als Vorbedingung Reformen und Maßnahmen gegen den Terror fordern. Die Palästinenserführung hat unterdessen der US-Regierung nach Informationen der Washington Post einen schriftlichen Entwurf für ein Friedensabkommen mit Israel vorgelegt. Er enthalte Konzessionen in zwei der umstrittensten Fragen, dem Status von Jerusalem und der Rückkehr der Flüchtlinge. Weiterhin werde der Rückzug Israels auf die Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 gefordert. Die Palästinenser verlangen nicht mehr das "Recht auf Rückkehr" der Flüchtlinge. Obwohl in dem Entwurf Ostjerusalem als Hauptstadt beansprucht wird, enthalte er als Angebot die Übergabe des Jüdischen Viertels und der Klagemauer an Israel. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 19.6.2002)