Eine reformresistente, europafeindliche kommunistische Partei, eines der ganz wenigen Fossile dieser Art im ehemaligen Ostblock, als drittstärkste Kraft: Diese Niederlage der demokratischen Parteien in der Tschechischen Republik ist kein Waisenkind. Sie hat viele Väter, aber einen Übervater: Václav Klaus.Klaus' Demokratische Bürgerpartei müsste nach ihrem Programm und auch als Mitglied der Europäischen Demokratischen Union eigentlich eine prinzipiell EU-freundliche Linie vertreten. In diesem Wahlkampf aber hat sich ihr Chef zum obersten Verteidiger der vermeintlich bedrohten nationalen Interessen Tschechiens gegenüber der EU ernannt. Die Debatte um die Benes-Dekrete bot Klaus die willkommene Gelegenheit, vor einer Revision der Nachkriegsordnung zu warnen. Alle anderen Parteien schlossen sich mehr oder weniger bereitwillig an. Dies vor allem aus Angst vor einem Wählerzulauf zu den Kommunisten. Die Erklärung des tschechischen Unterhauses über die Unantastbarkeit der Benes-Dekrete wurde als Erfolg gefeiert, weil ihr auch die Kommunisten zustimmten. In Wahrheit erhielten sie damit demokratische Hoffähigkeit ohne die geringste Gegenleistung. Versuche der Liberalen und der Christdemokraten, in der Resolution auch Bedauern über die Gewaltexzesse bei der Vertreibung der Sudetendeutschen und Ungarn und Mitgefühl mit Opfern und Hinterbliebenen auszudrücken, scheiterten am Widerstand der Hardliner. Und dazu gehören eben nicht nur die Kommunisten, sondern auch Klaus und seine Getreuen. Jetzt wurde die Quittung präsentiert. Mit den Reizthemen Benes-Dekrete und EU konnte man offensichtlich nur jene voll mobilisieren, die schon immer für totales Abblocken und gegen den EU-Beitritt waren. Und die gehen lieber gleich zum kommunistischen Schmied statt zum Schmiedl Klaus. Zugleich aber bedeutet die extrem niedrige Wahlbeteiligung von 58 Prozent ein massives Misstrauensvotum für alle demokratischen Parteien des Landes. Viele Fehlentwicklungen im politisch-gesellschaftlichen System haben bei den Bürgern Widerwillen, Überdruss oder schiere Gleichgültigkeit erzeugt: der merkwürdige "Oppositionsvertrag" zwischen den regierenden Sozialdemokraten und der Klaus-Partei, der den Grundregeln einer parlamentarischen Demokratie Hohn sprach; ein unverändert dichter Korruptionsfilz zwischen Politik, Wirtschaft und Bürokratie; und schließlich das fast gänzliche Fehlen von Perspektiven für den künftigen Platz Tschechiens in Europa; folglich auch keine breitere öffentliche Debatte darüber; von einer Zivilgesellschaft mit starkem Bürgerengagement, wie Präsident Václav Havel sie immer wieder beschwört, ganz zu schweigen. Das Wahlergebnis ist logische Folge dieses breiten Versagens der demokratischen Kräfte. Die Sozialdemokraten konnten ihre Verluste deshalb in Grenzen halten, weil sie in Vladimír Spidla einen zwar etwas farblosen, dafür aber persönlich glaubwürdigen und integren Spitzenkandidaten vorzuweisen hatten. Klaus hingegen konnte das Image des mit allen Wassern gewaschenen Machttechnokraten auch als Rächer der Enterbten nicht übertünchen. Was freilich nicht heißt, dass seine Zeit abgelaufen ist. Eine proeuropäische Mitte-links-Koalition von Sozialdemokraten und der Koalition von Christdemokraten und Liberalen hätte die knappestmögliche Mehrheit im Parlament und wäre in kritischen Fragen auf Unterstützung von außen angewiesen. Ob Klaus oder die Kommunisten - beide würden sich diese Hilfe teuer abgelten lassen. Schon allein deshalb sollte sich in Österreich niemand Illusionen über eine Haltungs- änderung Prags in den Fragen Benes-Dekrete und Temelín machen. Der innenpolitische Spielraum jeder denkbaren Regierung ist minimal. Dazu haben hierzulande gerade jene beigetragen, die - bei aller berechtigten Sachkritik - mit einem Veto gegen Tschechiens EU-Beitritt drohten. (DER STANDARD, Print, 17.6.2002)