Los Angeles - Bisher traten die Top Five der internationalen Musikindustrie stets als Kläger auf im Kampf gegen Gratismusik aus dem Internet. Jetzt wurde der Spieß umgedreht: Universal Music, BMG Entertainment, EMI, Sony Music Entertainment und Warner Music sind in den USA nun erstmals mit einer Sammelklage konfrontiert. Grund: der neuerdings auf vielen Musik-CDs eingebaute Kopierschutz, der ein Abspielen in Computer-CD-Playern verhindern und so Kopieren und Weiterverbreiten verhindern soll. Die auf Sammelklagen spezialisierte Kanzlei Milberg, Weiss, Bershad, Hynes & Lerach teilte am Wochenende mit, die Klage im Namen von Verbrauchern aus Südkalifornien sei bei einem Kammergericht in Los Angeles eingereicht worden. Der Sammelklage war bereits Kritik von Mitgliedern des US-Kongresses und von dem an der Entwicklung der CDs beteiligten Elektronikkonzern Philips am Kopierschutz voraus gegangen. Tenor: Es werde Konsumenten das Recht genommen, Musik zum eigenen Gebrauch zu kopieren.

In einer ersten Reaktion verurteilte der Präsident des Verbandes der Recording Association of America, Cary Sherman, die Klage als "frivol". Zugleich verwies er auf die jüngsten Erfolge gegen das Raubkopieren von Musiktiteln. "Diejenigen, die die Musik schaffen, haben das gleiche Recht, ihr Eigentum vor Diebstahl zu schützen."

Umdenken

Das Geschäftsmodell der Musikindustrie wurde von Internettauschbörsen - allen voran das nach Millionenklagen in den Konkurs gegangene Napster-System - in den Grundfesten erschüttert. Napster fand unzählige Epigonen - Morpheus, Kazaa, Limewire. Die Plattenfirmen wollten kontern, was aber von Usern nicht besonders gut angenommen wurde, da die Industrie nur wenige ausgewählte Lieder in teilweise minderer digitaler Qualität lieferte - manche mit Ablaufdatum oder Kopierschutz. Außerdem ist das nicht autorisierte Gratisangebot trotz Klagsflut nach wie vor groß.

Mittlerweile denken die Giganten an eine Kehrtwende, berichtete unlängst die Los Angeles Times. Songs sollen billiger und einzeln über die eigenen Plattformen (wie Pressplay.com von Universal und Sony) angeboten werden, ebenso aber auch über Seiten von Onlinehändlern wie Amazon. Dabei soll angeblich auf Kopierschutzmaßnahmen verzichtet werden.

Universal und Sony wollen laut dem Zeitungsbericht pro Song 99 US-Cent, für ein Album 9,99 Dollar verlangen. Es gibt Zweifel am Modell: "Wenn wir den Verkauf als Bündel aufgeben, fangen die Schwierigkeiten erst an", wird Jim Griffin vom Medienconsulter Cherry Lane Digital zitiert, "der Preis für eine Single kann nicht niedrig genug sein, um Fans anzusprechen, und nicht hoch genug, um die Kosten abzudecken."

Indessen wurde bekannt, dass der US-Rapper Eminem Online-Tauschbörsen mit so genannten "Fake-MP3"-Dateien versorgen ließ, die nur Teile aus Stücken seiner neuen Platte enthielten. Zuvor hatte der Musiker noch lautstark gedroht, alle Fans, die seine Musik gratis aus dem Netz saugen, verprügeln zu wollen. (pte, Reuters, szem/DER STANDARD, Printausgabe, 17.6.2002)