Inland
Reform des Vorverfahrens kritisch betrachtet
Innsbrucker Strafrechtler sieht Überstände über Übelstände
Wien - Negativ beurteilt der Innsbrucker Strafrechtler
Christian Bertel die Regierungsvorlage für die Reform des
Vorverfahrens im Strafprozess: "Das ist keine Reform, sondern nur
eine Reform-Imitation". Keiner der bestehenden Übelstände werde
gelöst. Vielmehr sei zu befürchten, dass neue Übelstände dazukommen,
z.B. bei der Untersuchungshaft, sagte Bertel im APA-Gespräch. "Viel
zu schwach" sei der Staatsanwalt, der laut dem Entwurf das
Vorverfahren leiten soll. "Der Staatsanwalt wird zur effektiven Kontrolle der Polizei ebenso
wenig im Stande sein wie heute in den Vorerhebungen. Er wird nur
formal die Leitung des Vorverfahrens und mehr Verantwortung haben,
inhaltlich werden ihm seine Kompetenzen ausgehöhlt", meinte Bertel.
Dafür habe sich "die Polizei ganz schön bedient".
"Nur Retuschen"
Die Regierungsvorlage bringe "nur Retuschen" zum
Begutachtungsentwurf und sogar einige Verschlechterungen. Eine
"Retusche" sei, dass Aufträge des StA an die Polizei nicht nur
schriftlich, sondern auch mündlich erfolgen können - wobei sie aber
auf Antrag der Polizei schriftlich begründet werden müssen. "Dem StA
wird die Ausübung der Verfahrensleitung leichter gemacht, aber nur
wenn die Polizei einverstanden ist." Hinter den Erstentwurf
zurückgegangen sei man z.B. in dem Punkt, dass die Polizei nur mehr
alle drei Monate - ursprünglich waren es zwei - dem StA berichten
muss.
Einen "beträchtlichen Schritt hinter das geltende Recht zurück"
sieht Bertel bei den ergänzenden Ermittlungen durch das Gericht: Zwar
werde - wie heute der Untersuchungsrichter - auch der StA selbst
ermitteln können. "Aber es gibt keine Verpflichtung dazu." Und dies,
kritisiert Bertel scharf, nicht einmal dann, wenn ein Polizist im
Verdacht steht, einen U-Häftling misshandelt zu haben. Derzeit müsse
dann jedenfalls der U-Richter ermitteln - "künftig wird das wieder im
Schoß der Polizei bereinigt werden".
Beschuldigten-Rechte
Keine Verbesserungen bringe die Reform bei den
Beschuldigten-Rechten. Die vom Minister gepriesene durchgängige
Beschwerdemöglichkeit gegen Handlungen der Polizei und des
Staatsanwaltes beim Richter werde"ein ziemlich zahnloses Instrument
bleiben". Nach einem Einspruch z.B. wegen vorenthaltener
Akteneinsicht werde es wohl mindestens 14 Tage dauern, bis der
Richter entscheidet. "Der Beschuldigte wird wenig Lust haben, so viel
Zeit und Geld in einen Anwalt - den wird er wegen der
Formerfordernisse brauchen - zu investieren, für eine richterliche
Entscheidung, die eh zu spät kommt."
Ebenfalls keine Verbesserung sieht Bertel bei der Situation des
Beschuldigten im Polizeigewahrsam. Zwar darf nach dem Entwurf der
Beschuldigte von Beginn an mit dem Verteidiger sprechen. Aber das
Erstgespräch werde prinzipiell überwacht - und könne in besonders
begründeten Fällen auf allgemeine Rechtsbelehrung beschränkt werden.
Zudem müsse ein Verhafteter erst nach vier Tagen dem Richter
vorgeführt werden. Österreich liege hier weit hinter anderen Ländern
zurück: "In Deutschland muss ein Verhafteter am nächsten Tag dem
Richter vorgeführt werden. Dort wird in Gegenwart eines Verteidigers
verhandelt." In Österreich sei die Haftverhandlung schon derzeit nur
eine "Scheinverhandlung".
U-Haft-Verschlechterungen
Deutliche Verschlechterungen fürchtet Bertel bei der U-Haft: Der
Richter solle künftig nur auf Grund des Materials, das ihm der StA
vorlegt, über die Verhängung entscheiden. Im Gegensatz zu heute habe
er keine Möglichkeit, ergänzend zu ermitteln oder von der Polizei
weitere Auskünfte zu verlangen. "Er hat nur mehr die Wahl, entweder
das, was der StA ihm vorgelegt hat, zu fressen und Haft zu verhängen
oder Nein zu sagen. Einem Richter, der sich nicht blamieren will,
kann man eigentlich nur empfehlen, U-Haft zu verhängen", fürchtet
Bertel ein Steigen der U-Haft-Zahlen.
Verabsäumt worden sei, so Bertel, das dringende Problem der
Verfahrenshilfe zu lösen. Die große Mehrzahl der Beschuldigten könne
sich keinen Anwalt leisten. Und der im Zuge der Verfahrenshilfe
gestellte Anwalt werde nur pauschal bezahlt - weswegen "viel zu wenig
Rechtsanwälte dem Richter entschieden entgegen treten". (APA)