Es war die größte Heiligsprechung der Kirchengeschichte. Fast eine halbe Million Menschen drängten sich am Sonntag in Rom bei der Heiligsprechung des italienischen Kapuzinermönchs Padre Pio. Der Petersplatz und die Via della Conciliazione konnten nur gut die Hälfte der Menschen fassen. Auf den umliegenden Straßen und Plätzen verfolgten Zehntausende die Zeremonie auf Großbildschirmen.Bereits im Morgengrauen begannen die ersten Gläubigen auf den Petersplatz zu strömen. Sie waren mit über 3000 Autobussen und zahlreichen Sonderzügen und -flügen nach Rom gekommen. 3000 Polizisten überwachten die Zeremonie, Freiwillige versorgten die Gläubigen unter anderem mit 750.000 Flaschen Mineralwasser. Bei 34 Grad Celsius besprühten Einheiten des Zivilschutzes die Menschen aus Schläuchen mit kühlendem Wasser. In 40 Erste-Hilfe-Zelten versorgten Ärzte und Sanitäter mehrere Hundert vor allem ältere Menschen, die in der Hitze Schwächeanfälle erlitten hatten. Rund um den Petersplatz standen 800 chemische Toiletten. Der Vatikan hatte für die Heiligsprechung 250.000 Eintrittskarten verteilt. Gute Sitzplätze wurden am Schwarzmarkt für 200 Euro angeboten. Die Heiligsprechung des 1968 verstorbenen Mönchs durch den Papst wurde von den Gläubigen mit lebhaftem Applaus aufgenommen. Der stigmatisierte Mönch, dem zahlreiche Wunderheilungen zugeschrieben werden, wird in Italien tief verehrt. An der Zeremonie nahm auch die polnische Psychiaterin Wanda Poltawska teil. Karol Woityla hatte Padre Pio um deren Heilung ersucht, als er noch Erzbischof von Krakau war. Kritische Stimmen Doch es gab auch kritische Stimmen. "Die von Jesus vertriebenen Händler sind in den Tempel zurückgekehrt", erklärte der Bischof von Como Alessandro Maggiolini in Anspielung an den beispiellosen Medienrummel und die Geschäftemacherei um Padre Pio. Die Fernsehanstalt RAI strahlte Samstag einen zweieinhalbstündigen Spielfilm über Padre Pio aus und sendete vier Stunden live von der Zeremonie. Weltweit wird das Geschäftsvolumen um Padre Pio im Jahr 2002 auf über 100 Millionen Euro geschätzt. (DER STANDARD, Print, 17.6.2002)