Als Hitler 1923 zum ersten Mal nach Bayreuth kam, verfolgte er zwei Strategien: er brauchte dringend Geld und die Gunst des Großbürgertums. So war die Reise nicht nur eine Wallfahrt zu seinem Komponistengott, dessen antisemitische Schriften er so gut wie auswendig kannte. Es war auch eine Unternehmung aus politischem Kalkül. In Bayreuth wusste man schon 1919, als Hitler gerade seine ersten Reden gehalten hatte, von dem jungen Österreicher. Der Zeitpunkt des Besuches ist bemerkenswert: Hitler kam kurz vor seinem Putsch, um an Wagners Grab den Segen des Meisters zu holen. Allein die Detailfülle, mit der Brigitte Hamann die Beziehung Hitler-Bayreuth schildert, macht ihre neue, umfängliche Arbeit wesentlich.In deren Zentrum steht mit Winifred Wagner eine Person, an der sich exemplarisch zeigen lässt, wie es möglich war, dass der in Wien "unfähige, untüchtige und auch gar nicht charismatische Hitler" in Deutschland zum "Retter" aufstieg. "Dieser Aufstieg ist aus Wiener Sicht völlig unverständlich und kaum aus Hitlers wahrlich nicht überragender Persönlichkeit zu erklären, sondern vor allem aus der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ideologischen Befindlichkeit in Deutschland nach 1918", schreibt Hamann. Hitler verstand es sehr geschickt, sich von seiner Partei, die als Krawallpartei galt, persönlich abzuheben. Er arbeitete an seinen Manieren, fand auch die steinreiche mütterliche Freundin Helene Bechstein und ließ sich von ihr unterrichten: Sie kaufte ihm Lackschuhe, ordentliche Anzüge, brachte ihm Tischmanieren bei und die Fähigkeit, den Damen formgerechte Handküsse zu geben - was stets großen Eindruck machte, nicht zuletzt bei Winifred Wagner. Winifred war ein englisches Waisenkind, kam mit neun Jahren zu entfernten Verwandten nach Deutschland, wurde in die Musik Richard Wagners und in die deutschvölkische Ideologie des Bayreuther Kreises eingeführt. Als sie mit 17 Jahren zum ersten Mal nach Bayreuth kam, erschien ihr Siegfried, "der Sohn des Meisters", wie ein Märchenprinz. Bizarr sind die Details der Beziehung. Der 45-jährige Siegfried wurde wegen seiner homosexuellen Neigungen bereits von der Presse attackiert. Seine Mutter Cosima drängte zu einer Heirat. Zudem brauchte Bayreuth dringend einen Erben. Seine Frau sollte jung, arm und ohne Familie sein. Das passte auf die hübsche und blonde Winifred. Die Heirat war erfolgreich, Winifred brachte vier Kinder zur Welt, darunter Wolfgang, den zurzeit amtierenden Festival-Chef. "Als Hitler zum ersten Mal nach Bayreuth kam", sagt Hamann, "war Winifred 26 und eine frustrierte, einsame Ehefrau." Die Tantiemen waren ausgelaufen und das einst sehr reiche Haus Wagner begann zu verarmen. Winifred verliebte sich sofort, wie Briefe an eine Schulfreundin zeigen. Hitler empfand sie als charmanten Diktator, dessen dunkle Seiten sie bis zuletzt leugnete. Dass sie der Illusion, er sei nur durch den Radikalismus seiner Gefolgschaft zu den Gewalttaten verleitet worden, bis an ihr Lebensende nachhing, belegt der grausame Satz in einem Fernsehporträt von Hans Jürgen Syberberg aus dem Jahr 1975: "Wenn der Hitler heute hier zur Tür reinkäme, ich wäre genauso fröhlich und glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben, als wie immer." Hitler hat sich in der Familie sofort wohl gefühlt. Das Haus Wahnfried empfand er offenbar als Rückzugsort, in dem er so etwas wie Privatheit erfuhr. Wagners Musik wie dessen ideologische Schriften waren ja eine der wenigen Kontinuitäten in seinem Leben. Winifred hatte "ihre ganze Verehrung auf seine Politik geworfen" und als Schwiegertochter Richard Wagners begeistert und erfolgreich für ihn Propaganda gemacht. Auch Winifred profitierte von der vermutlich rein platonischen Freundschaft. Hitler stellte die Festspiele auf eine solide finanzielle Basis. Doch das Verhältnis kühlte bald ab. Winifred hatte sich eingebildet, dass der Nationalsozialismus "eine Bewegung zum Nutzen der Deutschen sei, und kämpfte für das, was sie Edelnationalsozialismus nannte". Sie kämpfte gegen Korruption innerhalb der Partei, Ungerechtigkeiten gegenüber Juden und Schwulen und war der reichlich naiven Überzeugung, dass Hitler keine Ahnung von all den Missständen hatte. Die Partei interessierte sie nicht, im Gegenteil: Sie verfing sich in steten Kämpfen gegen Goebbels, Rosenberg, Bormann, Schirach und andere. Im August 1939 setzte sie sich sehr energisch für die Erhaltung des Friedens ein, indem sie Hitler unbedingt mit dem britischen Botschafter Nevile Henderson zusammenbringen wollte. "Aber Hitler weigerte sich. Er wollte den Krieg. Und er war böse auf Winifred, die sich in Sachen einmischte, die sie nichts angingen." (Hamann). Den offenen Bruch wollte Hitler nicht wagen, schon wegen der Kriegsfestspiele, die ja von "Kraft durch Freude" organisiert wurden. Aber er hatte seit dem Sommer 1940 Winifred nicht mehr eingeladen und sie auch nicht mehr besucht, wohl aber ihre Kinder. Zu den erstaunlichsten Ergebnissen des Buches zählt die Bewertung Wieland Wagners, den Hamann als "Günstling" bezeichnet. Hilter stand bis 1945 in engem Kontakt zum früh verstorbenen Regisseur, der sich stets als "Anti-Nazi" stilisiert hatte, obwohl er immerhin ziviler Leiter in einem KZ-Außenlager war. Wieland versuchte auf höchst aggressive Art, seiner Mutter die Festspielnachfolge streitig zu machen. So wenig schmeichelhaft das Buch für Winifred, die ihrem "Wolf" bis zumTod die Treue hielt, ausgeht, so wenig kann behauptet werden, sie war die Einzige der Wagner-Sippe, die dem braunen Wahn verfiel. Diese Mär hat nun ausgedient. (Von Wolfgang Schaufler/DER STANDARD, Printausgabe, Sa./So.,15.6.2002)