Kabul - Nach der Wahl von Hamid Karsai zum Präsidenten Afghanistans hat die Loya Jirga, die traditionelle Große Versammlung, am Freitag Beratungen über die Zusammensetzung der neuen Übergangsregierung aufgenommen. Dabei debattierten die über 1500 Delegierten in Kabul über eine ausgewogene Repräsentation der verschiedenen Völker in der Regierung, die in den nächsten eineinhalb Jahren Neuwahlen vorbereiten soll. Die Wahl Karsais stieß international auf große Zustimmung. Für ihn hatten 1295 der 1575 (ursprünglich waren 1500 vorgesehen gewesen) Delegierten gestimmt. Für Massuda Jalal, eine Ärztin, stimmten 121.In der bisherigen Übergangsregierung des Paschtunen Karsai hatte die im Kampf gegen das Taliban-Regime erfolgreiche Nordallianz aus Tadschiken und Usbeken ein Übergewicht. "Karsais Erfolg hängt von der Struktur und der Zusammensetzung seiner Regierung ab", umschrieb ein Cousin des früheren Königs Mohammed Zahir die Aufgabe. Zahir Schah hatte sich für die Wahl Karsais eingesetzt und selbst auf eine aktive Rolle in der neuen Regierung verzichtet. Bei den Debatten in der Loya Jirga stellten hohe Geistliche den Antrag, die neue Regierung solle ein "islamisch" im Titel führen. Dies wurde mit Zurufen wie "Allah ist groß", aber auch mit Buhrufen quittiert. Mehrere Delegierte der Großen Ratsversammlung drängten den neuen Präsidenten Karsai zur Einführung des islamischen Rechts (Scharia). Die Scharia müsse Leitlinie des afghanischen Rechtssystems bleiben, forderte der einflussreiche Paschtunenführer und ehemalige Mudjahid Abdul Rasul Sayyaf. (Reuters, AP, AFP) - DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 15./16.6.2002