Wien steht ein seltsames Uraufführungswochenende bevor: Während am Samstag an der Staatsoper Friedrich Cerhas "Riese vom Steinfeld" präsentiert wird, erblickt im Musikverein zeitgleich Otto M. Zykans "Messe!" das Licht der Musikwelt.

Wien - Eine Geschichte über Otto M. Zykan kann man auf dermaßen vielfältige Weise beginnen, dass ein Ende, ganz gleich was für eines, ganz gewiss nicht absehbar ist.

Zum Beispiel auf der Kanzel des Salzburger Domes, von der herab der Salzburger Oberhirte Otto M. im Jahr 1978 mit dem erzbischöflichen Bann belegte.

Im Hinblick auf diese öffentliche Verdammung könnte man natürlich auch noch viel früher anfangen: In Otto M.s Kindheit, in der er nach seinen eigenen Worten "fundamentalistisch katholisch erzogen" wurde, sodass ihm diese öffentliche Verdammung sicher nicht ganz egal gewesen sein mochte.

Vielleicht war es dann auch die insgeheime Furcht vor den nach einer solchen kirchlichen Verurteilung im Jenseits zu erwartenden Höllenqualen, die ihn glücklicherweise bis zum 68. Lebensjahr, in dem er jetzt steht, vor seinem ultimativen Kunstprojekt zurückschrecken ließ: sich während einer seiner brillanten Soloauftritte coram publico zu erschießen. Was auch ein griffiger Anfang für eine Geschichte über Otto M. wäre.

Das Lebensschiff

So gesehen kann man seiner erzbischöflichen Exzellenz Karl Berg für seinen damaligen Schuss von der Kanzel vor den Bug von Otto M.s zum Kentern tendierenden Lebensschiff nicht genug dankbar sein. Obwohl der Tod bei den meisten Geschichten das Ende darstellt, wäre selbiger im Falle einer solchen über Otto M. allerdings ein durchaus stimmiger Einstieg. Was an diesem Samstag unter dem mit einem eigenwilligen Rufzeichen versehenen Titel Messe! durch die Wiener Symphoniker und den Wiener Singverein unter Dirigent Rafael Frühbeck de Burgos im Musikverein zur Uraufführung gelangt, hätte ursprünglich ein Requiem werden sollen. Großen Vorbildern nicht abhold, hielt es Otto M. nicht für ausgeschlossen, wie einst Wolfgang Amadee über dessen Fertigstellung das Zeitliche zu segnen.

Viele Stunden

Als daraus offenbar nichts wurde, hat Otto M. auf Messe! umgeschaltet. Womit noch lange nicht gesagt ist, dass die Komposition einer Messe bei allem gebotenem Respekt vor solch gottgefälliger Tätigkeit auch nicht ganz ungefährlich ist: Während der 800 Arbeitsstunden, die Otto M. allein für das Gloria aufgewendet hat, ist sein Blutdruck in schwindelerregende Regionen gestiegen, von denen er auch nach glücklichem Ende dieses kompositorischen "Ritts über den Bodensee" noch immer nicht weichen möchte.

Schuld an diesen Irritationen sind weniger die Musen, die Otto M. bekanntlich in jeder Gestalt anhaltend hold sind, als vielmehr der Computer, der mit allen ihm zu Gebote stehenden Tücken zu verhindern versuchte, dass des Meisters Noten sich in der von ihm gewünschten Gestalt auf einem riesigen Bildschirm zur zunächst einmal virtuellen Partiturseite fügten.

Doch genug von Not und Tod. Könnte eine Erzählung über Otto M. doch auch mit einem Fest beginnen, an dem außer ihm noch ein weiterer Grande der österreichischen Gegenwartsmusik anwesend war: Friedrich Cerha nämlich, der so wie auch Otto M. aus allen Wolken fiel, als sich im Verlauf ihrer erlauchten Konversation herausstellte, dass die Messe! und Cerhas neue Oper, Der Riese vom Steinfeld, zur selben Stunde desselben Tages uraufgeführt werden. So viel naives dispositorisches Unvermögen wüsste eigentlich nur der selige Fritz von Herzmanovksy-Orlando so richtig zu schätzen.

Otto M. hingegen weiß die von ihm in diesem Ausmaß gar nicht erwartete "freundschaftliche Zuwendung" zu schätzen, mit der sich eine so honorige Institution wie die Wiener Gesellschaft der Musikfreunde seiner und seines Werkes annimmt.

Und dies, womit diese Geschichte über Otto M. ebenfalls beginnen könnte, von allem Anfang an. Diesen bildet eine beiläufige Frage, die der Generalsekretär der Musikfreunde, Thomas Angyan, vor vier Jahren an ihn richtete: Was Otto M. denn gerne schreiben würde, wenn er könnte, wie er wollte.

Die Honorarfrage

Auf Otto M.s Antwort, "meine Carmina burana", reagierte Thomas Angyan mit einem knappen "das machen wir" - und mit einem so wenig karg bemessenen Auftragshonorar, dass Otto M. es vorzieht, dessen tatsächliche Höhe trotz eindringlicher Befragung aus Furcht vor Neid und Eifersucht streng geheim zu halten.

Ohne jede Angst vor Neid und Eifersucht der Konkurrenz, sondern mit berechtigtem Stolz sei nun zum vorläufig letzten Anfang noch angemerkt, dass die das ganze neue Werk bestimmende Melodie Otto M. just in dem Augenblick in den Sinn kam, als er auf dem Weg zum Burgtheater in der Wiener Herrengasse am Portal des STANDARD vorüberging.

(DER STANDARD, Printausgabe, Sa./So.,15.6.2002)