Asien & Pazifik
Afghanische Loya Jirga debattiert über Nationalrat und Regierung
Ratsversammlung verlängert - Streit um Paschtunen-Vertretung - Eine Million Flüchtlinge heimgekehrt
Kabul - Die Loya Jirga in Afghanistan ist wegen
einer heftigen Debatte über das von Präsident Hamid Karsai
vorgeschlagene Übergangsparlament verlängert worden. Nachdem am
Sonntag keine Abstimmung über den Plan Karsais für einen Nationalen
Rat zu Stande kam, will der Präsident an diesem Montag seine künftige
Regierung und seine Pläne für den Nationalrat erläutern, der die Zeit
zwischen der Großen Ratsversammlung Loya Jirga und den
Parlamentswahlen in eineinhalb Jahren überbrücken und die Regierung
kontrollieren soll. Paschtunen äußerten die Sorge, im Nationalrat
nicht ausreichend vertreten zu sein. Die Beratungen der Loya Jirga wurden am Sonntag ausgesetzt und
sollen erst am Montag fortgesetzt werden, erklärte Tagungspräsident
Mohammed Ismael Qasemyar. Nach seinen Worten wollte der neu gewählte
Staatspräsident Hamid Karsai am Sonntagabend mit den Delegierten der
verschiedenen Provinzen zusammentreffen. Neben dem Nationalrat oder
der Nationalversammlung sollten bei der Loya Jirga auch ein neues
Kabinett sowie ein Gerichtshof gewählt werden. Die neue
Übergangsregierung soll der bisherigen Planung zufolge am 22. Juni
für 18 Monate antreten.
Karsai hatte den Nationalrat am Samstag vorgeschlagen und gesagt,
er solle in den nächsten 18 Monaten in Kabul tagen und dafür sorgen,
dass die Regierung keine Fehler mache. Aus Kreisen der Delegierten
war zunächst ein Plan bekannt geworden, wonach jede der 32 Provinzen
jeweils zwei Abgeordnete schicken solle. Zusätzlich würden etwa 50
Abgeordnete von Universitäten, Wirtschaftsverbänden und Flüchtlingen
entsandt. Am Sonntag kam ein zweiter Vorschlag hinzu. Demnach sollten
jeweils zehn Delegierte der Loya Jirga aus ihrer Mitte einen
Abgeordneten für den Nationalrat wählen. Die Stärke des
Übergangsparlaments würde damit bei etwa 110 bis 160 liegen.
Beide Modelle stießen bei Paschtunen auf heftigen Widerstand. Sie
befürchten, nicht gemäß ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten zu
sein. Die Paschtunen, aus deren Reihen auch Karsai stammt, sind mit
40 Prozent Anteil die größte Volksgruppe. Ihr Gegenvorschlag lautete,
in jedem der mehr als 300 Distrikte solle ein Abgeordneter gewählt
werden. Das wurde vom Präsidium der Loya Jirga als zu teuer
zurückgewiesen.
Der UNO-Sondergesandte für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, traf mit
drei einflussreichen Milizenführern aus dem Norden des Landes
zusammen, um gegen das "alarmierende" Ausmaß von Gewalt gegen
ausländische Hilfsgruppen in dem Gebiet zu protestieren. Dabei habe
Brahimi mehrere Fälle von Entführung, Diebstahl und Schießereien
angesprochen, sagte ein UNO-Sprecher.
Verunsicherung
Nach Aussage des EU-Sonderbeauftragten für Afghanistan, Klaus
Klaiber, wird die Loya Jirga von Einschüchterungsversuchen
überschattet. "Es gibt eine Menge Einschüchterung", sagte Klaiber.
Nach Ansicht ausländischer Beobachter spielt dabei die Geheimpolizei,
die in das Zelt der Großen Ratsversammlung gelassen wurde, eine
Rolle. Die Abgeordneten fühlen sich überwacht. Auch die Nachricht,
dass die Frau eines Abgeordneten vergewaltigt und ermordet worden
sei, trug am Sonntag zur Verunsicherung bei.
Seit dem Fall des Taliban-Regimes kehrten bis Sonntag eine
Million Flüchtlinge nach Afghanistan zurück. Da die Vereinten
Nationen nur mit 800.000 Rückkehrern bis zum Ende des Jahres
gerechnet hatten, wurde das Geld für Starthilfen knapp. Das
Flüchtlingshilfswerk UNHCR kürzt daher voraussichtlich die
Lebensmittelhilfe pro Familie von 150 Kilogramm Weizen auf 50
Kilogramm und stellt finanzielle Starthilfen ein. 850.000 Menschen
kehrten in den vergangenen sieben Monaten aus Pakistan zurück, die
übrigen aus dem Iran und anderen Nachbarländern Afghanistans. In
Pakistan leben noch etwa 1,5 Millionen Afghanen, im Iran etwa eine
Million Afghanen. (APA)