Straßburg - Die Benes-Dekrete sorgen weiter für Aufregung. Wenige Stunden vor einer Abstimmung des Europa-Parlaments über einen umfassenden Erweiterungsbericht kam es am Donnerstag zu einem Schlagabtausch zwischen der ÖVP-Europa-Abgeordneten Ursula Stenzel und dem SPÖ-Europa-Abgeordneten Hannes Swoboda. Stenzel hielt Swoboda vor, "Handlanger tschechischer Wahlkampfpolemik" zu sein. Swoboda soll laut einer Aussendung Stenzels in der Prager Tageszeitung "Pravo" erklärt haben, die Benes-Dekrete stellten für das Europa-Parlament "kein grundsätzliches Problem" dar. "Nur einige konservative oder rechtsextreme Mandatare" tischten das Thema immer wieder auf. Weder EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD), noch der Berichterstatter Elmar Brok (CDU) noch der Parlamentsberichterstatter Jürgen Schröder (CDU) oder sie selber könnten als "konservative oder rechtsextreme Abgeordnete" bezeichnet werden, reagierte die ÖVP-Delegationsleiterin auf die Äußerung Swobodas. Swoboda hielt dem entgegen, dass das Zeitungsinterview aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Stenzel sollte in der außenpolitischen Frage der Benes-Dekrete nicht versuchen "innenpolitisches Kleingeld zu kassieren." In dem Entschließungsantrag Broks, der am Donnerstag zur Abstimmung stand, werden die Benes-Dekrete zwar nicht ausdrücklich genannt, aber doch angesprochen. In dem zuvor zwischen Stenzel, Brok, Swoboda und Schröder akkordierten Kompromisstext wird Prag aufgefordert, "dass für den Fall, dass die gegenwärtige tschechische Rechtsordnung - z.B. auf Grund der Präsidentendekrete - immer noch diskriminierende Formulierungen enthält, die dem EU-Rechtsbesitzstand widersprechen, diese spätestens zum Zeitpunkt des EU-Beitritts beseitigt sind." Swoboda hatte am Mittwoch bei der Erweiterungsdebatte in Straßburg an beide Seiten appelliert, das Kriegsbeil zu begraben. Er erklärte, die häufig gegensätzliche Geschichte der europäischen Staaten sei kein Grund, die Erweiterung zu blockieren. Die Nationalisten der einen Seite sollten "endlich einsehen, dass die Vertreibungen nach Kriegsende die schreckliche Nazi-Diktatur zur Voraussetzung hatten". Die Nationalisten der anderen Seite müssten anerkennen, dass die Vertreibung von Minderheiten, die auf der Grundlage des Konsensus der Siegermächte durchgeführt wurden, dem "heutigen Verständnis von Minderheitenrechten" nicht mehr entspräche. Zu dem Bericht Broks wurden insgesamt 97 Änderungsanträge eingebracht, darunter zwei zu den tschechischen "Präsidentschaftsdekreten", zu denen auch das umstrittene Straffreistellungsgesetz zählt. Die große Mehrheit der Änderungsanträge bezog sich auf Umweltaspekte wie den Donau-Oder- Elbe Kanal. Brok empfahl vor der Abstimmung diese Änderungsanträge abzulehnen, da die Umweltverhandlungen mit den Kandidatenländern bereits vorläufig abgeschlossen seien. (APA)