Bonn - Sprachexperten warnen vor einem Verlust der deutschen Sprache als Preis für die steigende Internationalität in der Wissenschaft. In der Praxis der meisten deutschen Wissenschaftler habe sich der Trend zu modischem Wissenschaftsenglisch durchgesetzt. Wer seinen Forschungsergebnissen internationale Anerkennung verschaffen will, kommt ohne Englisch nicht aus. Immer häufiger werden auch in Deutschland wissenschaftliche Veranstaltungen ausschließlich in Englisch abgehalten - auch bei hauptsächlich deutschem Publikum. "Inspiration kommt über die Muttersprache" Wie der Direktor des zur Leibniz-Gemeinschaft gehörenden Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache (IDS) Gerhard Stickel im Leibniz-Journal erklärt, gehe es nicht darum, die Bedeutung des Englischen im internationalen Austausch schmälern zu wollen. Deutsch als eine unter vielen Sprachen der Wissenschaft sei aber unverzichtbar. "Inspiration kommt über die Muttersprache", so Stickel, der davon überzeugt ist, dass Fortschritt aus Ideen erwächst, die in der Sprache der Eltern gedacht werden. Seine Befürchtung ist, dass der Wechsel zum Englischen in der Wissenschaft mit einem Verlust von Ideenvielfalt und Kreativität einhergeht und. Er warnt gleichzeitig vor einem zu großen Übergewicht der englischen Sprache in der Wissenschaft. Fremdsprachigkeit schaffe Barrieren, wo Brücken zwischen Gesellschaft und Wissenschaft geschlagen werden müssten. Stickel bewertet nach Berichten des Informationsdienstes für Wissenschaft (IDW) die Anglophilie vieler seiner Kollegen kritisch und verweist auf eine Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten. Viele Wissenschaftler würden ein wesentlich schlechteres Englisch sprechen und schreiben, als sie selbst glauben. "Scharnierfunktion" Hermann H. Dieter, Toxikologe am Umweltbundesamt und Mitglied des Bundesvorstandes des Vereins Deutsche Sprache e.V., sieht einen Grund für die Popularität der englischen Sprache bei den Deutschen selbst: "Keine leistungsfähige Wissenschaftssprache kommt ohne ständigen Rückgriff auf den Wortschatz und die erklärenden Bilder ihrer Muttersprache aus." Aber die habe sich in den letzen Jahren drastisch verändert. "Unsere Sprache strotzt vor Modeanglizismen", kritisiert Dieter. Daher sei es nicht erstaunlich, dass Wissenschaft, Technik und Ökonomie lieber gleich auf richtiges Englisch setzten. Dem setzt Dieter entgegen, dass Deutsch im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft eine entscheidende Scharnierfunktion übernehme. Durch die um sich greifende Anglifizierung schneide sich die "scientific community" vom gesellschaftlich-kulturellem Umfeld ab. Sollten Forscher künftig ausschließlich in englischer Sprache kommunizieren, dann würden Wissenschaftsthemen nur noch sehr eingeschränkt in die Gesellschaft Eingang finden. Auch der Rückfluss aus der Gesellschaft werde versiegen. Dann drohe ein Verlust von Vielfalt und Innovationskraft. Denn oft erwüchsen neue wissenschaftliche Erkenntnisse schlicht daraus, dass Antworten auf Fragen gesucht werden, "die normale Menschen stellen", so Dieter. Offener Brief In einem offenen Brief an alle Kultus-, Bildungs- und Wissenschaftsminister der 16 Bundesländer mahnten bereits im vergangenen Jahr 39 Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen die Sicherung und den Ausbau von Deutsch als Wissenschaftssprache an. Sie regten an, internationale Kongresse in Deutschland grundsätzlich zweisprachig abzuhalten und Deutsch neben Englisch immer als offizielle Sprache festzulegen. Die Initiative fand nur ein mäßiges Echo. (pte)