Kabul - Mit überwältigender Mehrheit hat sich die Loya Jirga in Afghanistan hinter Hamid Karsai, den Chef der bisherigen Übergangsregierung, gestellt und ihn zum künftigen Staatspräsidenten gewählt. Karsai erhielt 1.295 der rund 1.650 Stimmen, wie der Ratsvorsitzende Ismail Kassim Jar mitteilte. Mit der Abstimmung vom Donnerstag traf die Große Ratsversammlung eine wegweisende Entscheidung für die politische Zukunft des von jahrzehntelangem Krieg gezeichneten Landes.171 Stimmen für Gegenkandidatin "Wir erklären ihn (Karsai) zum Präsidenten der künftigen Übergangsregierung", sagte Kassim Jar unter dem Applaus der Versammlung. Karsai galt schon vor Beginn der Wahl als klarer Favorit. 1.050 und damit fast zwei Drittel der Delegierten hatten mit ihrer Unterschrift seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten unterstützt. Neben Karsai wurden für die Wahl in geheimer Abstimmung Massuda Jalal, eine Mitarbeiterin des UNO-Welternährungsprogramms, und Mir Mohammed Mahfus Nadai zugelassen. Jalal erhielt 171 Stimmen, der dritte Mahfus Nadai 89. "Nach 25 Jahren versammeln sich alle Afghanen unter einem Zelt", sagte Karsai vor der Abstimmung. "Dies ist ein stolzer Augenblick." Er rief die Delegierten aus allen Provinzen und Volksgruppen dazu auf, für Frieden, Religion, Stabilität und Sicherheit Opfer zu bringen. "Wir brauchen eine Regierung, die Kontrolle über ganz Afghanistan hat", sagte Karsai. Afghanistan benötige gegenseitiges Vertrauen unter den verschiedenen Volksgruppen sowie wirtschaftlichen Wiederaufbau, Investitionen, die Instandsetzung der Straßen und Bewässerungskanäle. Das Land brauche die Hilfe und Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft. "Wir brauchen Millionen von Dollar. Wir dürfen diese Chance nicht verpassen. Dies ist unsere große Chance für den Wiederaufbau", rief Karsai aus. Nun wird die Loya Jirga darüber beraten, wie eine neue Übergangsregierung gebildet werden soll, die das Land zu allgemeinen Wahlen in anderthalb Jahren führen soll. Weiteres Hauptthema ist die Ausarbeitung einer Verfassung. Die Loya Jirga hatte wegen eines Streits über die künftige Rolle von Exkönig Zahir Schah erst mit 24-stündiger Verspätung am Dienstag begonnen. Zahir Schah verzichtete auf alle Ämter. Am Mittwoch wurde bis weit nach Mitternacht über die Wahl des Ratsvorsitzenden debattiert - Kassim Jar, der Leiter des Organisationskomitees, gewann schließlich diese Position. Die derzeitige Frauenministerin Sima Samar wurde seine Stellvertreterin. Am Mittwoch gab es lange Debatten über die Teilnahme so genannter Kriegsherren an den Beratungen. Jalal zum Rückzug gedrängt? Der Kandidatin Jalal war nach eigenen Angaben für den Fall eines Rückzugs von der Präsidentschaftskandidatur ein Kabinettsposten in der künftigen Regierung in Aussicht gestellt worden. Nach Berichten von Augenzeugen hatte der afghanische Verteidigungsminister Fahim Kasim Jalals Ehemann gedrängt, seiner Ehefrau einen Verzicht nahezulegen, da ihre Kandidatur "unislamisch" sei. Der Afghanistan-Gesandte der EU, Klaus-Peter Klaiber, bezeichnete die ersten beiden Tage der Loya Jirga als positiven Auftakt für die Zukunft Afghanistans. Die Einwohner des Landes müssten ihre Zukunft selbst bestimmen können, was offenkundig gerade im Gange sei. Der afghanische Botschafter in Indien forderte einen schnellen Aufbau Afghanistans, um den Einfluss der mächtigen Kriegsfürsten zu schwächen. "Geben Sie ihnen Arbeit, und sie werden ihre Kalaschnikows an den Nagel hängen", sagte Massud Khalili in Neu Delhi. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte erneut den Einfluss von Kriegsherren bei der Loya Jirga. G-8 zufrieden Die im kanadischen Whistler tagenden G-8-Außenminister begrüßten die Loja Dschirga als "wichtigen Schritt auf dem Weg zu demokratischen Wahlen". Die Versammlung sei "seit Jahrzehnten die erste Möglichkeit für das afghanische Volk, selbst über seine Zukunft zu bestimmen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Außenminister der sieben führenden Industrienationen und Russlands. Die Minister gratulierten Karsai "herzlich" zu seinen Leistungen. Eine Verlängerung des Mandats der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) hätten die Außenminister nicht gefordert, sagte US-Außenminister Colin Powell. (APA/AP)