Eigeninteresse ist die effizienteste Antriebsfeder, so das Credo jedes überzeugten Wirtschaftsliberalen. José María Aznar, der spanische Ministerpräsident, ist einer von ihnen - genau wie sein britischer Kollege Blair alias "mi amigo Tony". Da sich die Interessen ihrer jeweiligen Regierungen oft treffen, haben sich die beiden in letzter Zeit mit verschiedenen gemeinsamen Ideen hervorgetan, die Europa voranbringen sollen: Sie wollen eine neue Nato, einen echten EU-Ratspräsidenten, und sie wollen eine europäische Einwanderungspolitik.

Beim Thema Immigration beweist die Achse Madrid-London perfektes politisches Gespür: Ihre Eigeninteressen decken sich hier mit den Eigeninteressen fast aller EU-Partnerregierungen. Folgerichtig stilisierte der Spanier die Frage auch zum Kernpunkt des EU-Gipfels kommende Woche in Sevilla hoch. In allen Hauptstädten regiert zurzeit nämlich die Angst vor Rechtspopulisten - oder es regieren die Rechtspopulisten selbst. Dabei ist die Initiative wahrlich nichts Neues: Die EU-Staaten haben schon 1999 bei ihrem Gipfel im finnischen Tampere beschlossen, eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik zu betreiben. Die konkreten Vorschläge der EU-Kommission haben sie dann später allerdings hintertrieben.

Wo es um die Reform der EU-Räte geht, decken sich die Interessen der Spanier und Briten nicht mehr mit so vielen anderen Partnern. Frankreich und Italien unterstützen Aznars und Blairs Ideen, die aber eher den Wünschen der großen EU-Staaten zu entsprechen scheinen. Bei den kleineren macht sich die Angst vor deren Übermacht, vor einem "Direktorium" breit.

Nur in einem Punkt ist derzeit das Eigeninteresse Aznars nicht deckungsgleich mit demjenigen Blairs: Der Spanier will im Grunde, dass es in der EU-Agrarpolitik so weitergeht wie bisher, der Brite aber möchte sparen. Beim Geld hört eben auch die beste Männerfreundschaft auf. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2002)