Karl-Markus Gauß ist einer der sehr wenigen überzeugten Mitteleuropäer in Österreich, ja im deutschen Sprachraum. Er hat mehr als alle anderen Publizisten, Kritiker und Essayisten zur Wiederentdeckung der kulturellen Traditionen und zur Würdigung der von braunen und roten Diktaturen verfolgten, vertriebenen und ermordeten Schriftsteller und Künstler Österreichs und Mitteleuropas beigetragen. Zugleich bemühte er sich immer wieder in Büchern, Essays und Besprechungen Verdrängtes und Vergessenes den späteren Generationen näher zu bringen.Mit Fleiß, großem Einfühlungsvermögen und stilistischer Brillanz präsentierte der mittlerweile mit diversen angesehenen Preisen ausgezeichnete Essayist Unbekanntes und Missverstandenes aus einer versunkenen Welt und würdigte wie kein anderer die ungeheuer wichtige Rolle der Juden, die Klammer oder den "Zement" (so Andrzej Szczypiorski) Mitteleuropas. Nun ist Karl-Markus Gauß weder in seinem persönlichen Umgang noch in seinen Werken ein bequemer Zeitgenosse. Seine geistige Unabhängigkeit und zuweilen beißende Ironie züchteten sozusagen am laufenden Band Neider und Gegner. So führten auch in seinem letzten anregenden Buch ("Mit mir, ohne mich") ironische Bemerkungen über die Eitelkeit und das persönliche Verhalten Luc Bondys (ein sich aufplusternder Vogel mit einem Kropf der Selbstzufriedenheit) zuerst zu einem Wutausbruch des gekränkten Regisseurs bei einer Verlagsfeier und später zu Andeutungen Bondys: "Gauß ist kein Antisemit. Aber er hat auf das rhetorische Arsenal des Antisemitismus zurückgegriffen", sagt er in seinem jüngsten profil-Interview. Zugleich findet er in der Walser-Debatte "keine Antisemitismen" und zitiert zustimmend den rumänischen Essayisten Cioran, obwohl in dessen Schriften in Rumänien der Zwischenkriegszeit ein wahres Arsenal antisemitischer Beschimpfungen zu finden ist! Warum also die Empörung gegen Gauß? Bondy selbst liefert die Erklärung: "Ich habe so heftig reagiert, weil er mein Aussehen angegriffen hat." Über die Eitelkeit sagte schon Goethe: "Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischenhinein." In der Tat war die Wortwahl von Gauß verletzend, als er über eine saloppe Bemerkung des mit dem Nestroy-Preis ausgezeichneten Regisseurs schrieb: "Stellt sich, ein ordenbehängter Laffe des Kulturbetriebs, um Auszeichnungen an und möchte zugleich wissen lassen, dass sie ihm nichts bedeuten." Bondy hätte sich einst mit Gauß duellieren oder sich über seine Frisur bzw. Schnurrbart lustig machen können. Eines darf der international so erfolgreicheRegissseur aber nicht tun: einem hochbegabten und gerade in Sachen Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus stets vorbildlich agierenden Intellektuellen wie Karl-Markus Gauß "unbewusste" antisemitische Redewendungen vorwerfen. Gerade dieser schwierige Mensch aus Salzburg war durch sein Verhalten uns allen ein geradezu leuchtendes Beispiel an "Toleranz im Denken und Handeln" (so der Ehrenpreis des Buchhandels, den Gauß 2001 erhielt). Vor allem wir jüdische Alt-und Neuösterreicher müssen ihn vor dem ungerechten und unsinnigen Vorwurf von Bondy in Schutz nehmen. Der Festwochen-Intendant sollte die Bücher von Gauß lesen. Dann - vielleicht - würde er sich von sich aus bei ihm entschuldigen! (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2002)