Wien - Anders als im Fall der radiologischen Bedrohung durch Al-Qa'ida hat sich die Spur des Bioterrorismus seit dem 2. Oktober 2001 in einem Nebel von Drohungen und Spekulationen verloren. An jenem Tag tauchte erstmals waffenfähiges Anthrax im Postsystem der USA auf, tötete fünf Menschen, infizierte 17 andere, störte den Postvertrieb im Land und zwang die US-Senatoren, für zwei Monate auf ihre Büros zu verzichten.Doch mehr als ein halbes Jahr später bleibt einer der ersten großen Terrorakte mit Biowaffen ein ungelöster Kriminalfall, stellte jüngst die britische Militärfachzeitschrift Jane's Defence fest. Die Cowboy-Theorie Rund 35.000 Amerikaner haben sich seit dem Anthrax-Terror vorbeugend impfen lassen, etwa 15.000 falsche Anthrax-Alarmierungen zählten die Behörden, 71 Personen wurden festgenommen. Die Analyse der Milzbrandsporen wies aber bald weder auf eine Verbindung mit Al-Qa'ida noch mit dem Irak, sondern in die Labors der US-Armee. So sollen die Sporen, die im US-Senat in Washington gefunden wurden, mit Anthraxstämmen aus dem Medizinischen Forschungsinstitut für Infektionskrankheiten der US-Armee (USAMRIID) in Fort Detrick im Bundesstaat Maryland identisch sein. Anfang der 90er-Jahre hatte das Labor begrenzte Experimente angestellt, die Sicherheitsmaßnahmen seien fragwürdig gewesen, gab ein Mitarbeiter an. Noch im März hat Barbara Rosenberg, eine renommierte Biologin, ihren Verdacht bekräftigt, ein CIA-Projekt, das die Versendbarkeit von Anthrax studieren sollte, sei außer Kontrolle geraten. Nicht mehr als 40 Wissenschafter kämen als Verdächtige infrage. Milton Lettenberg, ein Sicherheitsexperte von der Universität von Maryland, spricht deshalb von einem "Cowboy", einem Wissenschafter, der sich frei und unabhängig genug fühle, um zu entscheiden, was in den USA geschieht und was nicht. (mab/DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2002)