Michael Boder dirigiert am Samstag an der Staatsoper die Uraufführung der Oper "Der Riese vom Steinfeld". Ein Gespräch über Probenstress und den Charakter des Werkes.Wien - Etwas baff ist Michael Boder schon. Mitten im Gespräch kommt der Riese vom Steinfeld (Thomas Hampson) ins Dirigentenzimmer und überreicht Boder so weihevoll wie bedauernd eine Flasche Sekt, umarmt den Dirigenten und ist gleich wieder dahin, nachdem ihm Boder - schon wieder gefasst, aber durchaus gerührt - "Du bist so lieb!" auf den Weg mitgegeben hat. Sollte jemals eine Backstage-Oper geschrieben werden, müsste sie so eine kleine Versöhnungsszene zwischen Sänger und Dirigent enthalten, die in der Staatsoper einen kleinen Probenzwist als Vorspiel hat. "Etwas Stress muss sein", meint Boder und zündet sich eine Zigarette an. "Vor einigen Tagen hatten wir eine Auseinandersetzung über den Probenverlauf. Thomas wollte kleine Teile probieren, ich wollte endlich eine Szene mit dem Orchester durchspielen, damit ein Gesamtbild entsteht, und nicht alle sieben Takte unterbrechen. Das hat ihn verunsichert, da ist er abgegangen, und ich habe die Probe unterbrochen. Es wurde ein bisschen geschrien. Wenn etwas nicht funktioniert, wird er halt schwierig. So wie ich."

Im Grunde aber, meint der deutsche Dirigent, der für die Staatsoper zum Mann fürs Moderne geworden ist, sei das Team der Uraufführung des Riesen vom Steinfeld sehr produktiv unterwegs. Die Partitur von Friedrich Cerha war rechtzeitig fertig (Boder: "auch dem Verlag ist zu danken"), der Komponist ist bei vielen Proben dabei, mache sich Notizen - da hat Boder schon ganz andere Uraufführungssituationen erlebt:

"Krzysztof Penderecki etwa war bei den Proben nicht dabei, weil er noch damit beschäftigt war, sein Stück fertig zu schreiben. Wir haben schon geprobt, da kamen die Partiturseiten nach und nach aus dem Hotel mit dem Taxi ins Theater. Ein Wahnsinn! Als Rechtfertigung meinte er, bei Mozarts Don Giovanni sei das ja auch nicht anders gewesen . . ."

Natürlich ändere auch Friedrich Cerha da und dort Kleinigkeiten. Spieltechnische Vorschriften, leichte Uminstrumentierungen, "um die gewünschte Plastizität" zu erreichen, seien manchmal nötig. "Und manche Stelle wurde auch gekürzt, nachdem sie den Interpreten zu lang schien." Die Oper würde, so Boder, keine zwei Stunden dauern - und ohne Pause durchgespielt werden.

Das Eigengewicht

"Für mich erschließt sich vieles schon beim Partiturlesen. Durchspielen am Klavier ist gefährlich, da man falsche Klangvorstellungen entwickeln kann. Ich muss in die Rolle des Komponisten schlüpfen, als er den Text bekommen hat. Später korrigiere ich die Vorstellungen bei den Proben, ich sehe, welches Eigengewicht der Orchesterapparat selbst entgegensetzt."

In gewisser Weise sei das Stück den Philharmonikern auf den Klangleib geschrieben. Extras gibt es im Schlagwerkbereich, auch ein Saxophon kommt zum Einsatz. Aber ansonsten "kann man nicht sagen, dass hier die moderne Musik neu erfunden wurde. Darum ging es auch gar nicht. Die Musik kommt einem direkt entgegen, das will sie auch, ohne sich einzuschmeicheln. Man muss sie aber nicht zehnmal hören, um sie zu verstehen."

Der Riese vom Steinfeld ist polystilistisch organisiert, "facettenreich in den Klangbildern. Vieles erinnert an andere Musik - ohne zu kopieren", meint Boder und ergänzt: "Es hat eine boshafte Volkstümlichkeit, hat eine ganz eigene Sprache gefunden und könnte durchaus im Repertoire seinen Platz finden. Es ist gar nicht so eindeutig, was da erzählt wird." Seine Rolle als Dirigent einer Uraufführung sieht Boder als die eines Geburtshelfers.

"Häufig ist es so, dass die Sänger alle Töne gelernt haben, aber eigentlich noch nicht wissen, was sie mit diesen anfangen sollen." Auch für den Regisseur, hier Jürgen Flimm, sei ein neues Werk eine besondere Herausforderung: "Bei einem neuen Stück ist es schwer, sich die Musik vorzustellen. Es gibt keine Aufnahme, ich habe Flimm ein Band voll gesungen - das klingt kabarettreif -, damit er sich die Melodien vorstellen kann. Man kann nicht verlangen, dass er Partituren lesen kann - da ist schon eine Spezialausbildung nötig." (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2002)