Irbil/Wien - Die ersten Nachrichten über eine militante Islamistengruppe im Norden des Irak erreichte den Westen im Herbst, kurz nach dem 11. September. Eine Gruppe namens "Jund al-Islam" ("Armee des Islam") hatte ein Gebiet in der Nähe von Halabja unter ihre Kontrolle gebracht (ein Gebiet, das sie später noch vergrößerte), dort ein Regime `a la Taliban etabliert, mit Bilderverbot und Zerstörung von allem, was für heidnisch gehalten wurde. Und sie verübten Massaker - eines mit 43 Toten - unter ihren Gegnern. Laut Siamand Banaa, Repräsentant der Kurdischen Regionalregierung (KRG) in Irbil, sind "auch total anti-islamische Kräfte" daran interessiert, den autonomen Teil Irakisch-Kurdistans (der nicht unter der Verwaltung Bagdads steht) durch die Infiltrierung von radikalen Islamisten zu destabilisieren - weil es als "Fenster zum Westen" allen Antidemokraten in der Region ein Dorn im Auge sei. Damit ist wohl Saddam Hussein gemeint, aber von den USA wird vor allem Iran beschuldigt, aus Afghanistan geflüchtete Al-Qa’ida-Kämpfer aufgenommen und unterstützt zu haben - und einige davon könnten von Afghanistan über die Westgrenze nach Iran und von dort in den Nordirak gelangt sein. Schon vorher jedoch wurden einzelnen Individuen der "Jund" Verbindungen zu al-Qa’ida nachgewiesen, berichtet Michael Rubin, Irak-Experte des "Washington Institute for Near East Policy" dem STANDARD. Beide, Banaa und Rubin, waren jüngst auf Initiative des KRG-Vertreters in Österreich, Sipan Berwari, in Wien und informierten über die Situation im autonomen Gebiet. Laut einem von Rubin zitierten Bericht von al-Sharq al-Awsat hatten ungefähr 60 der rund 400 im Herbst aktiven Kämpfer von "Jund" ihr Training in Afghanistan erhalten. Weiters sei ein Scheck von 300.000 US-Dollar direkt zu Osama Bin Laden zurückzuverfolgen. Nachweislich habe die Gruppe, die ihre Basis in Biyara, einem Dorf ganz nahe an der iranischen Grenze hat, Kontakt zu militanten Islamisten nach Jordanien. Im Dezember fusionierte "Jund" mit einer anderen Gruppe, gemeinsam nennen sie sich sich jetzt "Ansar" (Unterstützer des Islam). Im Laufe der Monate konnte die das Gebiet kontrollierende PUK (Patriotische Union Kurdistans) die Islamisten zurückdrängen, sie sind aber weiter aktiv. Halabja und Umgebung, wo bei einem irakischen Giftgasangriff 1988 bis zu 5000 Menschen starben, ist tradi 4. Spalte tionell eine Hochburg der in Kurdistan sonst nicht erfolgreichen Islamisten. In den vergangenen elf Jahren, seit das Gebiet der irakischen Kontrolle entzogen und zum "safe haven" der UNO erklärt wurde, sind dort vermehrt wahhabitische Ideologen - mit Geld zum Bau von Moscheen im Sack - am Werk. Im Nordirak fischen also viele - Staaten und Organisationen - im Trüben. Laut Rubin haben zuletzt auch Anhänger der in Deutschland verbotenen Gruppe des "Kalifen" Metin Kaplan dort Unterschlupf gesucht. Die Region erinnert geografisch gerade an jene unzugänglichen Teile im Osten Afghanistans an der pakistanischen Grenze, wo sich jetzt Al-Qa’ida- und Ta_liban-Reste - vielleicht sogar Osama Bin Laden selbst - verstecken. In einem Flugblatt der "Jund" ist zu lesen: "Es gibt eine Menge Gründe dafür, in Kurdistan einen Djihad zu beginnen. Die geografischen Voraussetzungen, das bergige Terrain, sind günstig und von strategischem Vorteil." (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2002)