Wien - An das Glückwunschtelegramm Karajans, damals, als er das Cleveland Orchestra übernahm, daran kann sich Christoph von Dohnányi erinnern: "Er schrieb, das Cleveland Orchestra sei das einzige gewesen, dem er nach drei Proben nichts mehr erklären musste. Der damalige Chef George Szell hatte das Orchester natürlich gut vorbereitet, Karajan hat es dann in Salzburg dirigiert. Es ist natürlich ein sehr reaktionsschnelles Kollektiv."

Das Telegramm ist fast zwei Jahrzehnte alt und stammt aus einer Zeit, da es besonders der CD-Branche besser ging. Dohnányi, auch von dieser Entwicklung betroffen, hat natürlich gerne im Studio gearbeitet: "Das hilft der Reflexion. Da kann man seine Tempovorstellungen überprüfen, man irrt sich ja, Komponisten tun das auch. Ich habe sehr viele Uraufführungen gemacht. Mir ist aber keiner begegnet, der seine Tempoangaben nicht geändert hätte, nachdem er sein Werk gehört hat."

Andererseits findet Dohnányi die bröckelnde Dominanz der CD-Multis gar nicht so schlecht, obwohl Mitte der 90er-Jahre sein Ring-Projekt mittendrin gestoppt wurde: "Die Situation bringt kleine Firmen hervor, die Musik entdecken. Und es ist auch nicht mehr so wie früher, als die Firmen sogar Besetzungen in Salzburg diktierten. Die Krise hat auch mit einer falschen Firmenpolitik zu tun gehabt. Zu meiner Zeit hat man gleichzeitig drei Aufnahmen von Schostakowitschs 10. Symphonie gemacht - mit mir, mit Solti und Ashkenasy. Etwas übertrieben." In Cleveland, wo er zunächst nur für zwei Jahre unterschrieben hatte, gab es auch so genug zu tun. Ein Jugendorchester, ein Jugendchor wurden aufgebaut. Auch die Renovierung der Severance Hall hat er durchgesetzt.

Kein destruktiver Hochmut

Auch hat sich Dohnányi in seinen Vertrag nicht wie manche Kollegen hineinschreiben lassen, dass man ihn vom Umgang mit Sponsoren, die ja in Übersee Orchester finanzieren, gefälligst befreien soll: "Ich fand das einen destruktiven Hochmut! Wenn es wichtig war, habe ich mich nie dagegen gesträubt. Ich kann auch nicht von Einmischungen in künstlerische Belange berichten. Im Gegenteil: Eine Saison wich ich von der Gewohnheit ab, mit einem modernen Werk zu beginnen. Da gab es Beschwerden." Natürlich sei das Sponsorensystem leistungsbezogen: "Wenn die Qualität nicht stimmt, haben sie ein Problem. Wir haben Glück: Das Orchester wurde in allen Toplisten erstgereiht. Das hilft bei der Arbeit."

Das Cleveland-Musikvereinsgastspiel im Zuge von Dohnányis Abschiedstournee kann alles bestätigen: höchster technischer Standard, klangliche Brillanz der Streicher, die zu einem glitzernden Pianissimo befähigt sind, und punktgenau attackierendes, nur manchmal zu präsentes Blech. Man hörte eine durchtrainierte Orchestermaschine mit Charisma, wobei Dohnányi etwa im Allegretto der zweiten Symphonie von Brahms große Leichtigkeit suggeriert (der erste Satz allerdings kam etwas träge) und bei Bruckners Achter eine unsentimentale Klarheit erzeugt. Raten will Dohnányi seinem Nachfolger Franz Welser-Möst, den das Orchestermanagement bestellt hat, nichts. Nur so viel: "Es ist ein Orchester, das vom Dirigenten ein deutliches Statement verlangt. Es ist bereit, viel auszuprobieren, flexibel und ehrgeizig, aber es ist fordernd. Franz Welser-Möst ist ein netter Mann, ein guter Dirigent. Letztendlich entscheidet aber die Persönlichkeit. Da muss man abwarten."

Dohnányi selbst wird demnächst alle anderen großen US-Orchester dirigieren. "Das durfte ich als Chef von Cleveland bisher nicht. Wird nachgeholt." Sein Salzburger Dirigat zu Liebe der Danae hat er übrigens zurückgelegt: "Ich hatte ein Problem im theatralen Bereich." (Ljubisa Tosic/DER STANDARD, Printausgabe, 11.6.2002)