Im Amt will er bleiben, doch tagelang war der schwer kranke türkische Premier Bülent Ecevit nicht einmal in der Lage, sich öffentlich zu zeigen. Als er gestern dann doch auftrat und in Breschnew-Manier, von Parteifreunden gestützt, auf ein Mikrofon zustolperte, hatte das Land seinen Regierungschef bereits abgeschrieben. Denn Ecevit führt im Grunde schon seit mehr als einem Monat nicht mehr die Regierungsgeschäfte.Um diesen Eindruck zu verwischen, lobte der kranke Premier seine Drei-Parteien-Koalition als erfolgreichste Regierung seit dem Putsch von 1980. Es stimmt zwar, dass seit der Zäsur vor 22 Jahren keine Regierung länger im Amt war, aber genauso richtig ist es, dass die Regierung Ecevit de facto bereits seit Februar vergangenen Jahres am Ende ist. Mit der damals erzwungenen Freigabe des Wechselkurses der türkische Lira gegenüber dem Dollar scheiterte nicht nur ihre Wirtschaftspolitik. Seitdem werden die wichtigsten Entscheidungen auch eher beim Internationalen Währungsfond in Washington als in Ankara getroffen. Die negativen Auswirkungen dieser Politik, die Massenentlassungen, Streichung der Subventionen in der Landwirtschaft und Einschränkung aller weiteren staatlichen Dienstleistungen hat die Regierung nie ausgleichen können. Entsprechend unpopulär in der Bevölkerung sind nicht nur Ecevit und seine linksnationalistische DSP, sondern auch die beiden Koalitionsparteien, die ultrarechte MHP und die wirtschaftsliberale ANAP. Die einzige Hoffnung der Türkei auf eine wirtschaftliche Wende wäre eine forcierte Annäherung an die EU. Doch ausgerechnet an diesem Punkt leistet sich die Koalition einen erbitterten internen Stellungskrieg. Die Neofaschisten in der MHP wollen weder die Todesstrafe abschaffen noch Konzessionen gegenüber der kurdischen Minderheit machen. In seiner besten Phase ist es Ecevit immerhin noch gelungen, die Blockaden innerhalb der Drei-Parteien-Koalition aufzulösen. (DER STANDARD, Print, 10.6.2002)