Kassel - Mit dem von ihrem künstlerischen Leiter Okwui Enwezor erklärten Anspruch "einen neuen Begriff der Moderne", zu setzten, der auf den "Ideen von Transkulturalität und Exterritorialität basiert", ist die documenta 11, die weltgrößte Schau zeitgenössischer Kunst, am Samstag vom deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau in Kassel eröffnet worden. Der Weg, den diese dokumenta aufzeichnet, die mit dem in den USA lebenden Nigerianer Enwezor erstmals von einem Nichteuropäer geleitet wird, ist jener in die Transnationalität und Diaspora. Transnational sind in der Tat viele der 118 zu dieser Schau geladenen KünstlerInnen. Sie leben nicht mehr in ihren Herkunftsländern und die Erfahrung des Exils prägt wesentlich ihre Arbeit. Etwa jene der iranischen Fotografin und Filmemacherin Shirin Neshat, die hier eine neue poetisch-mythologische Video-Installation zeigt oder jene der in Paris lebenden Perserin Chohreh Feyzdjou, die die Erfahrung von Fremdheit mit dem Aufbau eines zeitgeschwärzten Depots mit Einweckgläsern, Schriftrollen, aufgerollten Bildleinwänden bekämpft. Sammeln, Dokumentieren, Recherchieren, der enzyklopädische Anspruch ist überhaupt ein zentrales Motiv. Hanne Darboven, der "Aufschreiberin" par excellence und ihren endlosen geschriebenen Zahlenreihen wird denn auch über drei Stockwerke hinweg Platz eingeräumt. Lisl Ponger auf Spurensuche Die in Wien lebende Fotografin und Filmemacherin Lisl Ponger reiht sich mit ihrer Arbeit in die SpurensucherInnen und DokumentaristInnen des nicht mehr vorhandenen. Sie hat im Sommer in Genua nach den Spuren der Demonstrationen der so genannten GlobalisierungsgegnerInnen zum G8 Gipfel gesucht, in einer bewusst stillen Serie, die schreiende Trümmerbilder ausklammert. Österreich ist ja bei dieser Documenta 11 so zu sagen nur transnational vertreten, mit KünstlerInnen, die nicht hier geboren wurden, jedoch hier leben oder Arbeiten. So wie die Amerikanerin Renee Green, die an der Akademie der bildenden Künste Wien unterrichtet. Sie hat für die documenta ein Freiluftprojekt entwickelt, eine Reihe von Klangpavillons in der Karlsaue, die allerdings im Regen und im Schlamm auf den Wiesen zum Ausstellungsauftakt trockenen Fußes nicht erreichbar waren. Migration Von der Migrations(kriegs)-Grenze Mexiko-USA berichtet die französische Filmemacherin Chantal Akermann in einer vielteiligen Videoinstallation, die Deutsche Ulrike Ottinger hat für ihren Film "Südostpassage" die europäische Migrationsstrecke am umgekehrten Weg von Berlin nach Odessa zurückgelegt. Die historische Reiseform Sextourismus zitiert Yinka Shonibare mit seiner Installation "Galanterie und Ehebruch", in der mit Rokoko-Kostümen in bunten afrikanischen Stoffen die "Grand Tour" dargestellt wird, mit der die Gentleman des 18. Jahrhunderts ihre Ausbildung vervollkommneten. Goethe hat ja auch bei seiner Reise ... wird einem spontan dieser bislang ignorierte Aspekt der traditionellen Bildungsreise bewusst. Ganz ordentlich kuschelt es auch bei der Stofftier-Installation von Annette Messager. Absolut nichts kuscheliges haben dagegen die textilen, in Käfige gesperrten Skulpturen der Grand Dame Louise Bourgeois, die auf dieser Schau, wo Frauen die deutlichsten Aussagen zu Identitätssuche, Existenzangst, Sexualität machen, einfach nicht fehlen darf. (APA)