Die geistige Welt ist nicht im Lot, wenn zwei Kaliber des heimischen Kulturlebens wie der Essayist Karl-Markus Gauß und der Theatermann Luc Bondy einander in eine ziemlich verrückt klingende Kontroverse darüber verwickeln, ob der eine den anderen mit "möglicherweise unterbewusstem antisemitischen Ton" beleidigt hat (siehe die heutige Gastkommentarseite). Verrückt deshalb, weil ein gewisser Jörg Haider einem Bericht in der Kleinen Zeitung zufolge beim Parteitag der Freiheitlichen wieder mit dem Antisemitismus spielte ("In der Antisemitismus-Debatte war man knapp am Foul"). Die Frage, ob der Vorwurf des Antisemitismus in dem einen oder anderen Fall vielleicht zu exzessiv und unbedacht gebraucht wurde (wie es bei Luc Bondy der Fall zu sein scheint), wird irgendwie akademisch, wenn man sich erinnert, wie folgenlos Haider vor Jahr und Tag (genauer: bei den Wiener Wahlen) unter Gejohle seiner Gefolgsleute gezielt Vorurteile bediente. Wer zu oft "Der Wolf! Der Wolf!" ruft, dem wird dann im Ernstfall nicht geglaubt. Aber bei uns sitzt der Wolf gemütlich mit am Tisch und gibt regelmäßig seine einschlägigen Rülpser von sich, ohne dass das allzu viele besonders stört. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.6.2002)