Wien - Das klaffende Finanzierungsloch der Krankenkassen (heuer voraussichtlich 232 Millionen Euro) könnte geschlossen werden, wenn überflüssige Röntgenaufnahmen - inklusive Magnetsresonanz-, Computertomografie- und Ultraschalluntersuchungen - eingespart würden. Das behauptet Alfred Wieshammer, Informatiker und Inhaber einer Firma, die auf digitale Datenübertragung spezialisiert ist (internet project development ag). Der Spezialist für digitale Radiologie hat in den vergangenen Jahren eine Studie über derartige Untersuchungen in Österreich verfasst und ist zum Schluss gekommen, dass rund jede vierte Aufnahme überflüssig ist. Die Gründe dafür: Doppelbefundungen, verloren gegangene Bilder (laut Wieshammer verschwinden in Spitälern bis zu 35 Prozent aller Aufnahmen aus Schlamperei und müssen daher wiederholt werden) sowie ärztliche Ausreizung des Kassenhonorarrahmens (so viele Röntgen wie pro Patient bezahlt werden - etwa beim Zahnarzt -, werden auch gemacht). Bei der deutschen Basiskrankenversicherung AOK gehe man sogar davon aus, dass bis zu 50 Prozent aller Röntgen überflüssig sind, erzählt Wieshammer. Ganz so dramatisch beurteilt Franz Bittner, Chef der Wiener Gebietskrankenkasse, die Lage nicht. Doch auch er glaubt, dass jeder fünfte Befund aus den bildgebenden Verfahren nicht nötig wäre und aus "Sorglosigkeit" oder "gezielter Frequenzsteigerung" in den Praxen entstehe. Zunehmend verlagern sich solche Untersuchungen nämlich von Spitälern in Institute. Wobei weniger die Röntgenbilder als die Magnetresonanztomografien (MRT) das Problem sind: Während die Röntgen in Wien nur mehr um vergleichsweise bescheidene 2,4 Prozent pro Jahr zunehmen, haben sich die MRT in den letzten fünf Jahren auf 154.000 schlicht verdreifacht. Heuer erwartet die Kasse einen weiteren Zuwachs um 20 Prozent. Für eine MRT zahlt die Wiener Kasse rund 182 Euro, für ein Lungenröntgen 40. "Das sind teure Geräte, die verdient werden müssen", meint Bittner trocken. Und die Ärzte würden den Patienten eben alles bieten, "was die Ordination hergibt". Obwohl diese Untersuchungen sogar chefarztpflichtig sind. Doch mit der Beurteilung, ob dieser Befund auch nötig ist, seien die Chefärzte überfordert. Wien hat überdies ohnehin zu viele Röntgenpraxen: In einem vor drei Jahren begonnenen Zehnjahresprogramm müssen mindestens 30 von 85 Ordinationen geschlossen werden. Röntgenärzte haben die höchsten Umsätze aller niedergelassenen Ärzte. Gleichzeitig bastelt man in Wien an einem digitalen Datennetz, mit dem Spitäler, niedergelassene Ärzte sowie die Kasse verbunden werden. Unnötige Untersuchungen wären dann leichter zu entdecken, sagt Bittner, meint aber einschränkend: Die Politik müsse das breitere Spektrum der E-Card erst erlauben. Ausbaubare E-Card So ein System schwebt auch Wieshammer vor: Auf der E- Card, die den Krankenschein ersetzen wird, könnte man zwar nicht Röntgenbefunde speichern, aber darauf könnten verzeichnet sein, wo die Bilder digital zu finden sind. Dafür braucht es aber die nötige technische Infrastruktur. Die neue Führung im Hauptverband der Sozialversicherungsträger gibt sich dazu aufgeschlossen: "Wir sind für jeden guten Vorschlag dankbar", sagt Josef Kandlhofer, Sprecher der Geschäftsführung. Bei den Möglichkeiten der E-Card sei man "noch nicht am Ende des Tunnels" angekommen. Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck - selbst Röntgenarzt - bezweifelt die vorliegende Studie, räumt aber ein, dass es wohl Doppelbefundungen gebe. Die Röntgenologen seien aber schuldlos, schließlich handle es sich um ein Zuweisungsfach. Und er attackiert die Kasse: Diese sei dafür verantwortlich, dass die Befunde nicht längst nur mehr digital erstellt werden. (DER STANDARD, Printausgabe 8./9. 6.2002 )