Den kometenhaften Aufstieg von R. Kelly zum Superstar hätten sich selbst Hollywood-Autoren nicht besser ausdenken können: Am 8. Jänner 1969 wird in einem ärmlichen Vorort von Chicago Robert Kelly geboren. Seine Kindheit entspricht dem trostlosen Schicksal vieler Afroamerikaner: Der Vater türmt früh, während die Mutter versucht, sich und ihr Kind über die Runden zu bringen.

Klein Robert fällt wegen zweier Talente auf. Er spielt gut Basketball und erweist sich als außergewöhnlich musikalisch. Nachdem er eines Tages von Unbekannten vom Fahrrad geschossen wird - der Legende nach steckt ein Teil des Projektils noch heute in seiner Schulter -, wendet er sich ganz der Musik zu.

Autodidaktisch lernt er Klavier spielen und verdient damit an Straßenecken sein erstes Geld. Als Teenager gründet er die Band MGM, mit der er einen landesweiten Talentwettbewerb gewinnt. 1991 unterzeichnet der 22-Jährige bei Jive-Records und wird mit seiner Mischung aus Soul, Rap und Swing zu einem Wegbereiter des neuen R & B.

Sein Debütalbum Born Into The '90s platziert sich 1992 auf beiden Seiten des Atlantiks in den Charts. Der Komet beschleunigt und wird nur kurz gebremst, als Kelly 1994 erstmals auch außermusikalische Schlagzeilen macht, weil er die damals noch unbekannte 15-jährige Sängerin Aaliyah heiratet. Deren Eltern lassen die Ehe annullieren.

Musikalisch setzt Kelly zusehends auf eine aufgewärmte Version des 70er-Jahre-Bedroom-Soul, was zu vor Schmalz triefenden Hits genauso führt wie zu Kollaborationen mit einigen der kommerziell erfolgreichsten Acts der 90er - den Geschwistern Janet und Michael Jackson.

Für die auf Schlagerniveau durchlittene Schmonzette I Believe I Can Fly wird er 1999 mit Auszeichnungen überhäuft, insgesamt hat der in Florida wohnende dreifache Familienvater bis heute an die 30 Millionen Platten verkauft. Die seit seiner Kurzzeitehe mit der heuer tödlich verunglückte Aaliyah immer wieder auftauchenden Gerüchte um seine Vorliebe für junge Mädchen warfen in den letzten zwei Jahren jedoch Schatten auf diese Version des amerikanischen Traums.

Platzen könnte dieser, wenn sich die nun erhobenen Vorwürfe gegen den 33-Jährigen bestätigen sollten: Im Februar tauchte in der Redaktion einer Chicagoer Zeitung ein Video-band auf, das den Sänger angeblich bei der Unzucht mit der minderjährigen Tochter eines ehemaligen Mitarbeiters zeigt. Dafür haben weder das Gesetz noch die Traumproduzenten Hollywoods Verständnis. Kellys Höhenflug könnte abrupt enden.

Den brutal herbeigeführten Sturz vom Rad hat R. Kelly einigermaßen unbeschadet überstanden. Von dem nun drohenden würde er sich wohl nur schwer erholen.

(DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2002)