Neun null, null null, nun ja. Jedoch: Jämmerlich jubelte Jancker, mächtige Muskeln manisch stellte zur Schau er. Jotoho jotoho!Was sagen Sie? Acht null? Deutschland - Saudi-Arabien acht null? Deutschland - Irland eins eins? Fangen Sie schon wieder mit der Fußball-WM an? Sehen Sie nicht, dass ich arbeite? Ich versuche, ein Libretto zu schreiben für eine Wagner-Oper, eine durch und durch deutsche Fußball-Oper. Nein, nicht Michael Wagner, Sie Banause, auch nicht René Wagner. Richard Wagner, Wesendonck-Lieder, Walkürenritt, dieser Wagner. Was, Sie kennen den Walkürenritt nicht? Gehen Sie nie in ein Kaffeehaus? Jedes zweite Handy, das piepst, piepst den Walkürenritt. Egal. Jedenfalls kommt für mein Libretto nur "neun null, null null" infrage, der Stabreim ist für eine Wagner-Oper unverzichtbar. Und Carsten Jancker ist natürlich eine Traumbesetzung, ein Siegfried, wie er im Buch steht. Wäre er in der WM-Mannschaft 1966 gestanden, der Hammerwurf-Olympiasieger Uwe Beyer hätte die Siegfried-Rolle in Harald Reinls Nibelungen-Verfilmung nie und nimmer bekommen, sondern Jancker wäre an der Seite von Karin Dor vor der Kamera gestanden. Aber da Sie schon von der Fußball-WM reden: Ist mein Libretto nicht großartig, ist es nicht tatsächlich abstoßend, Jancker beim Jubeln zusehen zu müssen? Während andere Spieler fein choreogafierte Freudentänze aufführen oder Saltos schlagen, zieht Jancker sein Leibchen aus, damit alle seinen Oberkörper sehen können, auf den er offensichtlich stolz ist, und schaut, nur weil er eines von acht Toren erzielt hat, ins Publikum, als wäre er Achilles, der gerade Hektor besiegt hat. Hätte er einen abgeschlagenen Araberkopf hochgehalten, ich hätte mich nicht gewundert. Nein, Sie irren sich, ich habe überhaupt keine Vorurteile, ich bin keineswegs ein Deutschenhasser. Als Kind war ich sogar ein fanatischer Fan der Deutschen, kein Wunder, wenn man in einer deutschnational verseuchten Kärntner Tourismusgegend aufwächst. 1966 beim Endspiel gegen England habe ich so mit den Deutschen mitgefiebert, habe ich ihnen so krampfhaft die Daumen gehalten, dass ich überhaupt nicht mitbekommen habe, was auf dem Spielfeld vorgeht. War zum Beispiel Hunt am Ball, und der Reporter hat gerufen: Hunt am Ball, habe ich gedacht: Handspiel, Freißstoß für die Deutschen, aber es war nie Handspiel, immer nur dieser Hunt. Und er hat abgespielt, zu Stiles, und der Reporter hat gesagt: zu Stiles, und ich habe gedacht, super, zu steil, nicht zu erreichen, und war enttäuscht, weil die Engländer weiter im Ballbesitz blieben. Aber die Mannschaft von 1966 war ja tatsächlich eine großartige deutsche Mannschaft, Tilkowski, Overath, das waren noch Namen. Wenn man an die spätere Weltmeistermannschaft denkt, Maier, Müller . . . Wie könnte man einer Mannschaft die Daumen halten, deren Stars Maier und Müller heißen? Wenngleich, für mein Libretto, Maier, Müller . . . Meisterlich mauerten Maier und Müller . . . Das ist zwar nicht wahr, aber für eine Wagner-Oper . . . Lassen Sie mich jetzt in Ruhe, ich muss wieder an die Arbeit. Und seien Sie versichert, ich habe nichts gegen die Deutschen. Von mir aus sollen sie Weltmeister werden, wenn sie angemessen spielen. Aber Jancker soll angemessen jubeln. Eine Fußball-WM ist schließlich kein Krieg. (DER STANDARD-Printausgabe, Freitag, 7. Juni 2002)