Wien
Schlafkrankheit: Ein Gespenst der Vergangenheit kehrt zurück
Das tödliche Comback für 60 Millionen Menschen in 36 afrikanischen Staaten - nur sieben Prozent haben Zugang zu Diagnose und Medikamenten
Wien - Die Schlafkrankheit, von der man dachte, sie sei so gut wie ausgerottet, erlebt ein tödliches Comeback. Vor etwa einem Jahrhundert dezimierte sie ganze Dorfbevölkerungen in
Zentralafrika, Epidemien mit einer halben
Million Toten waren keine Seltenheit. Als der
Erreger gefunden worden war - ein Parasit,
durch die Tsetsefliege übertragen - begann die
systematische Ausrottung, finanziert von der
so genannten westlichen Welt, die koloniale
Interessen zu wahren hatte: Medikamente,
Reihenbehandlungen und Insektengifte.Durch Bürgekriege wurden Kontrollprogramme lahm gelegt
Dies schien sich zu lohnen, in den 1960er-
Jahren gab es nur noch vereinzelte Fälle von
Schlafkrankheit. Als die afrikanischen Staaten
in die Unabhängigkeit entlassen wurden, fehl
ten ihnen aber finanzielle Mittel zur Behand
lung und Prophylaxe, durch Bürgerkriege
wurden Kontrollprogramme lahm gelegt. Die
Schlafkrankheit kehrte zurück, durch Migration breitete sie sich wieder epidemieartig aus.
Heute leiden 500 000 Menschen an der Krankheit
Heute leiden bereits 500.000 Menschen an
der Krankheit, die jährliche
Todesrate liegt bei 70.000, laut
jüngsten Daten der Weltge
sundheitsorganisation (WHO)
mit steigender Tendenz. 60
Millionen Menschen in 36
afrikanischen Staaten sind an
steckungsgefährdet - nur sie
ben Prozent haben Zugang zu
Diagnose und Medikamenten.
Zuerst vermehren sich die
Erreger der Schlafkrankheit im
Blut, verursachen Fieber und
schmerzhafte Schwellungen
der Lymphknoten. Dann befallen sie das Ge
hirn, führen zu Schlafstörungen, Krämpfen,
Verwirrung, Gewaltausbrüchen und Wahn
sinn. Wird nicht behandelt, folgen Koma und
Tod.
Betroffene Länder gehören zu den ärmsten der Welt
Bis zum Vorjahr gab es mangels Interesse
der Pharmaindustrie - die betroffenen Länder
gehören zu den ärmsten der Welt, stellen somit
keinen profitablen Markt dar - nur ein Medi
kament: das seit 1949 eingesetzte arsenhaltige Melarsoprol. Mehr als 30 Pro
zent der Patienten sprechen
jedoch nicht mehr darauf an,
bis zu zehn Prozent sterben an
Nebenwirkungen der Arznei.
Auf einen Hilfeschrei von
Ärzte ohne Grenzen und WHO
antwortete Richard Markham,
Vorstandsvorsitzender des
Pharmariesen Aventis: „Wir
wollen eine wesentliche Rolle
bei der Verbesserung der Situation übernehmen.“ Aventis
investiert 26,6 Mio.
in Produktion von und
Forschung nach neuen Medikamenten, die
kostenlos abgegeben werden. Damit allein,
stellt Irmgard Bayer von Aventis-Österreich
fest, sei es freilich nicht getan: Damit Patienten
auch zu den Arzneien kommen, müsse die In
frastruktur in betroffenen Ländern ausgebaut
werden. Und das sei nun Aufgabe der Interna
tionalen Staatengemeinschaft. (fei, DER STANDARD, Printausgabe, 7.6.2002)