Foto: EMI Doves
The Last Broadcast
(EMI)

Von Christian Schachinger
Der Höhepunkt des neuen Albums der Doves kommt gleich mit dem dritten Song. There Goes The Fear umkreist dabei den altbewährten Themenbereich vom Abschied, der immer auch ein neuer Anfang ist. Zwischen den Fixpolen Melancholie und Optimismus entwickelt sich hier über sieben Minuten ein Gefühlsdrama, das im gegenwärtigen Britpop seinesgleichen sucht. Das aus Manchester stammende Trio führt hier nicht nur fest im kollektiven Gedächtnis verankerte Chöre aus Blondies Heart Of Glass gegen Ende dieses eklektizistischen Gewaltakts zwischen Hawaii-Gitarre, Glockenspiel, tonnenschwer über der Gerätschaft liegendem Hall und mit Phaser-Effekten verfremdetem Folk-Fingerpicking in den Bereich des mit jungen nordenglischen Bands wie Elbow, Starsailor oder Coldplay erfolgreich wiederbelebten wehmütigen Pathos - unter besonderer Berücksichtigung einer brasilianischen Perkussionsorgie. Die Doves um das Brüderpaar Jez und Andy Williams stehen auch in einer größeren Tradition. Hier wird eine Geschichtsaufarbeitung betrieben, die die große Zeit der "Madchester"-Szene aus den 80er-Jahren verhandelt. Nicht nur, dass hier junge Musiker auf der Suche nach ihren Wurzeln das prägende Werk von Vaterfiguren wie den genialen Smiths, den die frühe Rave-Szene mit Rock koppelnden Stones Roses und ansatzweise sogar die Tristesse von alten New Wave-Helden wie Echo & The Bunnymen für das neue Jahrtausend koppeln. Aktuellere Einflüsse wie die Art-Rock-Begeisterung von zeitgenössischen Vorbildern wie Radiohead ( Pyramid Song ) oder die schweren orchestralen Drogenrausch- und Sozialbau-Reflexionen von Richard Ashcroft und The Verve ( The Drugs Don't Work ) finden hier ebenso Eingang in die Stücke wie hier unter Mithilfe von Arrangeur Sean O'Hagan von den leider immer etwas unterbewerteten Londoner Brian-Wilson-Forschern High Llamas manchmal auch nicht davor zurückgeschreckt wird, zur volkstümlichen Heils- verkündigung des Rock'n'Roll Marke Oasis und U 2 niederzusteigen. Um das Maß der Vergleiche vollzumachen: Wenn Jedermanns Lieblinge Travis ( Why Does It Always Rain on Me? ) eine etwas weniger gute Hand für schmissige Ohrwürmer und einfache Songstrukturen entwickelt hätten, dann könnte das oft dem Bestreben der Doves ziemlich nahe kommen. Allerdings wird hier auch dem experimentelleren Bereich der großen Wehmutsballade Platz eingeräumt. Neben dem üppigen Friday's Dust und seiner Kopplung von Streichorchester, Chören aus dem Geisterhaus und zarter elektronischer Knusper-Bearbeitung sticht hier vor allem das das gewöhnliche Songformat zart sprengende Sulphur Man heraus. Den Doves mag nach dem düster gehaltenen Debüt Lost Souls aus 2000 (man erinnere sich an den alten Song der Manchester-Legende Joy Division) mit The Last Broadcast zwar kein bahnbrechendes Album gelungen sein. Als aktuelle Bestandsaufnahme einer Szene, in der die große Party immer schon vorüber war, taugen die elf Songs aber allemal. Der ideale Soundtrack für eine Sozialdemokratie unter Tony Blair. Sympathisch bleibt sie einem dann ja doch. Trotz allem und jedem. Die Idee nämlich ist nicht die schlechteste. Revolutionen aber finden längst woanders statt. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.6.2002)