Die Nitrofenaffäre war mit Sicherheit nicht der letzte Lebensmittelskandal. Wir werden uns an Pestizidpaprikas, Nitrofenputen und Antibiotikalachse gewöhnen müssen. Zumindest so lange, wie die Nahrungsmittelindustrie ist, wie sie ist. Und nichts, wirklich nichts deutet darauf hin, dass sich da irgendetwas ändern wird. Der Agrarsektor entwickelt sich konsequent in Richtung noch größerer Einheiten, was eine weitere Industrialisierung der Lebensmittelproduktion - Stichwort Halbfertigprodukte - nach sich ziehen wird. Der völlig anders strukturierte Biosektor wird eine marginale Erscheinung bleiben. In Österreich beträgt der Bioanteil am Lebensmittelmarkt ein paar Prozent, bis 2005 wird mit einem Anstieg auf sieben Prozent gerechnet.Die jüngsten Lebensmittelskandale führen freilich zur nahe liegenden, momentan aber kaum zu beantwortenden Frage: Was dürfen, was können wir eigentlich noch essen? In Obst und Gemüse finden sich Pestizide, in fast allen anderen Lebensmitteln - in ihrer Wirkung und Wechselwirkung noch gar nicht wirklich fundiert untersuchte - Unmengen an Zusätzen. Im Wissen um die kaum noch durchschaubare Nahrungsmittelproduktion, die Dinge hervorbringt, die oft nur noch am Rande mit dem Ursprungsprodukt ident sind, wird der Ruf nach einfacheren biologischen Lebensmitteln natürlich lauter. Der Nitrofenskandal freilich wird Umstiegswillige dazu veranlassen, desillusioniert den nächsten Würstlstand aufzusuchen. In dieser Zeit der Verunsicherung ist Gesundheitsminister Herbert Haupt den Konsumenten auch noch das wesentliche geistige Nahrungsmittel schuldig geblieben: die Information. Wie Haupt bisher bei allen Skandalen - von den Pestizidpaprikas bis jetzt zum Nitrofenskandal - Informationen vorenthalten hat, ist nicht akzeptabel. Sein Ministerium wusste etwa schon seit mehreren Tagen, dass mit Nitrofen verseuchtes Fleisch eventuell auch nach Österreich gelangt sein könnte. Seine Beamten und mit ihnen der Minister selbst schwiegen wieder eisern. Jetzt redet sich Haupt auf die neue Ernährungsagentur aus, diese müsse informieren. Von dort wiederum kommt der Hinweis, die neue Behörde habe keinerlei Informationspflicht. Bisher hat der Minister erst informiert, wenn eventuell vergiftete Nahrungsmittel längst schon in der Kläranlage entsorgt wurden. Entweder liefern ihm seine Beamten keine Daten, oder er ist bei dieser komplizierten und brisanten Materie orientierungslos. Beides wiegt schwer, denn es ist zu erwarten, dass wir mit neuen Umweltskandalen rechnen müssen. Noch ist etwa die Frage, was an längst verbotenen Giften noch immer in den heimischen Äckern vergraben liegt, nicht einmal in Ansätzen aufgearbeitet. Haupt muss endlich erkennen, dass seine Klientel nicht die Agrar- und Nahrungsmittelindustrie, sondern der Konsument ist. Letztlich werden es die Konsumenten sein, die durch ihr Kaufverhalten eine Entgiftung des Lebensmittelsektors erwirken können. (DER STANDARD, Printausgabe 06.06.2002)