Mauthausen - Wenn Leo Kuhn zur Gaskammer des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen kommt, fällt sein Blick immer auf die Fotos zweier seiner Kameraden, die vergast wurden. Zwischen den Bildern ist eine kleine leere Fläche. Da könnte sein Foto hängen. Einmal pro Woche fährt Kuhn mit der Bahn von Wien nach Mauthausen. Der 94-Jährige ist der letzte Überlebende des KZ, der noch Führungen macht. Vorzugsweise Schulklassen führt er und erzählt dabei aus seinem Leben. "Die Kinder sind total wissbegierig", sagt Kuhn im Gespräch mit dem Standard. Unangebrachte Fragen habe es dabei noch nie gegeben: "Die Kinder wollen wissen, wie man das überleben kann oder ob ich an Selbstmord gedacht habe." Vielfach lasse dann die Konzentration nach, doch das sei normal - dauert seine Führung doch zwei Stunden. Wegen Hochverrats verhaftet Kuhns Leidensgeschichte unter dem Naziterror begann bereits 1938. Er sei immer gegen den Krieg gewesen, erzählt er. Gemeinsam mit zwanzig Kollegen druckt und verteilt er Flugzettel mit Parolen wie "Kein Krieg". "Wir glaubten, dass uns nichts passieren kann", erinnert er sich heute. Er sollte sich irren. Am 15. November 38, seinem Namenstag, werden Kuhn und seine Gruppe wegen Hochverrats verhaftet. Das Urteil des Volksgerichtshofes fällt "milde" aus: acht Jahre Zuchthaus. "Wir waren alle überzeugt, dass wir geköpft werden." Kuhn kommt ins Zuchthaus Stein und später in ein Arbeitslager. Auch dort stellte er seine politische Arbeit nicht ein. Durch einen Spitzel verraten, wird er verhaftet und als zum Tode Verurteilter ins KZ Mauthausen gebracht. Nur durch Glück überlebt er. 1945 kommt Kuhn ins Lager Ebensee, wo er - auf 35 Kilogramm abgemagert - befreit wird. In Mauthausen und seinen 49 Nebenlagern wurden rund 200.000 Menschen inhaftiert, mehr als die Hälfte wurde ermordet oder überlebte die bestialischen Haftbedingungen nicht. "Ich wollte alles verdrängen" "Nach dem Krieg war ich lange nicht mehr in Mauthausen. Ich wollte alles verdrängen", sagt Kuhn. Ein anderer Überlebender hätte ihn dann aber "an seine Verpflichtung" erinnert. Und so erzählt er seit Mitte der Siebzigerjahre Schülern seine Geschichte und damit auch jene des KZ. Früher sei er auf bis zu 70 Führungen pro Jahr gekommen. Wie damals besucht er die Schüler vor ihrer Mauthausen-Fahrt in der Klasse. "14- Jährige können die Ereignisse nur erfassen, wenn sie vorbereitet sind." Es habe sich gezeigt, dass sie sonst im Lager "abschalten" und "Blödsinn machen". Info-Zentrum als Hilfe Bis Ende des Jahres will Kuhn weiter nach Mauthausen fahren. Dann sei aber Schluss: "Dann bin ich 95. Die Kräfte erlahmen und der Kalk beginnt zu rieseln." Dabei gebe es enormen Bedarf. Pro Jahr kommen 200.000 Besucher - 60.000 davon sind Schüler. Abhilfe soll ein eigens gestaltetes Besucherzentrum beim KZ schaffen. Dieser Tage endet die Ausschreibung für das Bauprojekt. Bei der Befreiungsfeier im Mai 2003 soll es fertig sein. Das vom Innen- und Wirtschaftsministerium finanzierte 4,2 Millionen Euro teure Zentrum wird außerhalb des Lagers, direkt bei den Parkplätzen, angesiedelt. Um nicht den Blick auf das KZ zu stören, wird es in einen Hang hineingebaut. Neben Seminarräumen, einer Cafeteria und der Verwaltungseinheit wird auch Platz für Forschungsarbeit geschaffen. Eine Ausstellung soll die Besucher vor dem Betreten des KZ informieren. Auch Führungen von Zivildienern werden weiter organisiert. Die Überlebenden des KZ gibt’s dann nur mehr auf Video. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.6.2002)