Wien - "Alle zwei Sekunden stirbt ein Mensch, weil es keine Medikamente gegen seine oder ihre Krankheit gibt oder weil die existierenden Medikamente zu teuer sind", begann Sabine Kampmüller von Ärzte ohne Grenzen. Sie diskutierte mit weiteren drei Experten beim Montagsgespräch, zu dem DER STANDARD und Radio Wien geladen hatten, über das Thema "Gesundheit - Handelsware oder Menschenrecht?".Als medizinische Koordinatorin der Ausstellung "Unbezahlbar krank", in der Besucher in die Rolle von Patienten schlüpfen (bis Samstag in der Mariahilfer Straße, beim Museumsquartier), befasst sich Kampmüller besonders mit dem Gesundheitswesen in Entwicklungsländern, wo die meisten Medikamente für die Bevölkerung unerschwinglich sind. - Das Problem: "Wie Barbiepuppen oder Computerspiele unterliegen auch Medikamente dem Patentrecht." Pharmafirmen haben das Patent auf ihre Arzneien für die Dauer von 20 Jahren, somit "ein Monopol auf das Medikament", sagte Kampmüller. Eine Preissenkung sei erst nach Ablaufen des Patentschutzes möglich. Generika statt Patente Daher die Forderung Kampmüllers einer Forcierung nachgeahmter Produkte, auch Generika genannt (siehe Wissen): "Ein in Indien hergestelltes Medikament gegen Aids, das für 350 statt 10.000 Dollar pro Jahr verkauft wurde, hat vielen Menschen die Behandlung ermöglicht." Sie kritisierte außerdem "das mangelnde Interesse der westlichen Forschung" an Krankheiten, die hierzulande faktisch ausgestorben sind. Es sei lukrativer, eine Substanz gegen Damenbart zu produzieren, als dieselbe Substanz, die gegen die in den Tropen verbreitete, tödliche Schlafkrankheit wirksam ist, als Medikament nutzbar zu machen. Fazit: "90 Prozent der Pharmaforschung decken nur zehn Prozent der echten Gesundheitsprobleme weltweit ab." "Ein Medikament auf den Markt zu bringen kostet rund 900 Millionen Euro", entgegnete Erwin Klein, Geschäftsführer von Novartis Österreich. "Ich könnte mir vorstellen, dass die Entwicklung eines neuen Autos wesentlich günstiger ist." Vom Zeitpunkt der Patentierung - also der Entdeckung oder Entwicklung einer neuen Substanz - bis zur Marktreife dauere es bis zu zehn Jahren: "Sie haben also zehn Jahre, um die Kosten hereinzubringen", sagte Klein. Zur Entwicklung eines Medikaments bedürfe es eines Patentschutzes, er sei daher "eher dafür, dass man darüber diskutiert, den Patentschutz zu verlängern, denn dann könnten wir die Kosten über 15 bis 20 Jahre hereinbringen", so Klein. Breiteres Problem Die Gesundheitsprobleme der Dritten Welt seien außerdem "nicht allein über Medikamente oder deren Preise zu steuern". Ohne Aufklärung und ohne das "entsprechende Umfeld", also Wasserversorgung, Hygiene, Ernährung, helfe kein Medikament: "Wir haben hier ein breiteres Problem", meinte Klein. Sozialmediziner Michael Kunze bekräftigte dies. Gute Gesundheit, so Kunze, "ist eine Folge von guten wirtschaftlichen Bedingungen, und diese hängen mit stabiler Politik zusammen". In Entwicklungsländern, fand Kunze, sei es daher "mit externer Hilfe allein nicht getan". Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck sah eine Asymmetrie: "In der Marktwirtschaft gäbe es Kunden und Produktionsfirmen, die deren Bedürfnisse zu stillen glauben. In der Gesundheit aber "weiß nur der Produzent, was der Konsument vielleicht brauchen wird", betonte Waneck. Das Gesundheitswesen würde oft zu 80 Prozent vom Staat kontrolliert, weil man glaube, dass die Leistungen so rechtzeitig ankommen, sagte Waneck und kam auch auf Generika und Medikamentenpreise zu sprechen: "Um Zuwachsraten zu beschränken, fordern wir die verantwortlichen Ärzte auf, bei gleichwertigen Medikamenten das Billigere zu nehmen", so Waneck. (siehe Wissen). "Aber durch die Interventionen der Politik sind wir auf einem Medikamentenpreis-Niveau, das um 16 Prozent unter dem EU-Durchschnitt liegt", protestierte Klein. Bestimmte Medikamente seien daher in Österreich gar nicht erhältlich - etwa ein orales Antidiabetikum, das "für einen Gutteil der Patienten einen wirklichen Fortschritt bringen würde", so Klein. - Man müsse Kostenschübe verhindern, antwortete Gesundheitsstaatssekretär Waneck, denn: "Nur wenn wir für den eigenen Lebensbereich vorsorgen, können wir auch über die Grenzen hinaus tätig werden". (DER STANDARD, Printausgabe, 05.06.2002)