Rechtsruck in Europa (Österreich hat mit seinen Wahlen und der darauf folgenden Regierungsbildung den Anfang gemacht) und jetzt auch noch eine Antisemitismus-Debatte an den Stammtischen. Und daher nicht nur die Debatte darüber. Vorläufig findet sie hauptsächlich in Deutschland statt, weil hier die Auslöser zu Hause sind: Jürgen Möllemann und Martin Walser, aber die Sache hat natürlich auch in Österreich manches Feuer entfacht. Ein Lagerfeuer haben wir ja erst kürzlich hinter uns gebracht: das antisemitische "Witzchen" Jörg Haiders über Ariel Muzicant, für das sich das einfache Mitglied einer Regierungspartei inzwischen halt entschuldigt hat – auf Grund einer Privatklage des Beleidigten. Der Koalitionspartner hatte dazu gern und lang geschwiegen.Nun gibt es in Deutschland Wortmeldungen eines Funktionärs einer ehemaligen Regierungspartei, die es wieder werden möchte, die zwar diffiziler, aber ebenso geeignet sind, Antisemitismus zu befördern. Eine tiefe Parteikrise und lang anhaltende öffentliche Aufregung sind die Folge. Wenigstens dieser Unterschied beruhigt – für Deutschland. In der Sache selbst aber beruhigt gar nichts. Vor allem beunruhigt, dass das Wesen von Antisemitismus ebenso wenig begriffen wird, wie das von Fremdenfeindlichkeit. Und die Politik hat dem bislang überwiegend Tabuisierung entgegen gesetzt, statt Konfliktanalyse und darauf aufbauende Konfliktlösung. Es ist daher nicht überraschend, dass nun allerorten argumentiert wird, man werde doch noch einen Juden und erst recht Israels Politik kritisieren dürfen. No na. Ich glaube daher, dass die von Möllemann geforderte „Entschuldigung“ dann der falsche Weg ist, wenn sie an Friedmann gerichtet ist, oder auch nur die persönliche Auseinandersetzung mit einbezieht. Für die Bezeichnung Friedmann als „arrogant, aggressiv“ muss man sich nicht entschuldigen. Die rassische Typisierung ist es, die das Vorurteil bedient, und für eine solche ist die Entschuldigung kein adäquates Instrument. Die Situation deckt auf, was an gesellschaftlicher Aufklärung – und Bewusstseinsarbeit seitens der Politik bislang sträflich vernachlässigt wurde. Es ist hoch an der Zeit, das zu ändern. Auch die Wahlergebnisse sind einschlägige Warnsignale. NACHLESE --> Gewöhnung frisst Empörung auf - 21.5.2002 Der nächste Angriff auf die Unschuldsvermutung - 2.5.2002 --> "Christliche" Heuchelei - 22.4.2002 --> In Zeiten wie diesen - 8.4.2002 --> Eine Frage des Respekts - 22.3.2002 --> Der private Landeshauptmann - 11.3.2002 --> Der Strafpfiff - 22.2.2002 --> Die Ablenkungsenquete - 8.2.2002 --> Regieren ist nicht Privatsache - 25.1.2002 --> Klartext, Herr Präsident! - 11.01.2002 --> Der verlorene Verfassungsbogen - 20.12.2002 --> Linke und rechte Moral? - 7.12.2002 --> Keine Details - welches Stück? - 22.11.2002 --> Autoritäre Reflexe und kein Ende! - 9.11.2002 --> Weitere Kommentare von Heide Schmidt, die in der Rubrik "Fremde Feder" erschienen sind.