Europa
Klestil spricht sich für ein Ende der Benes-Dekrete aus
Teilnehmer der Mittelmeer-Konferenz konnten sich nicht auf gemeinsame Schlusserklärung einigen - Sloweniens Presse äußert sich kritisch
Bled - Bundespräsident Thomas Klestil hat sich dafür
ausgesprochen, die "Vertreibungsdekrete" der Tschechoslowakei nach dem
Zweiten Weltkrieg "durch eine politische oder legislative Erklärung
aufzuheben". Zudem müsse die "moralische Verantwortung anerkannt
werden, dass Unrecht geschehen ist", sagte Klestil in Bled
am Rande des Treffens der Präsidenten Mitteleuropas. Zugleich
forderte er einen sorgsamen Umgang mit dem umstrittenen Thema der
Benes-Dekrete: Keinesfalls dürfe die Staatsgründung der
Tschechoslowakei in Frage gestellt werden. Zwischen Österreich und Tschechien habe es "von der einen und von
der anderen Seite" in der Vergangenheit Erklärungen gegeben, die dem
bilateralen Verhältnis nicht gerade förderlich gewesen seien.
"Stimmungsmäßig" seien die Beziehungen verbesserungsfähig. Auch aus
diesem Grund werde er auf Wunsch des tschechischen Präsidenten Vaclav
Havel wahrscheinlich im Herbst mit diesem zusammentreffen. Auch dabei
werde er klar machen, was Österreich von Prag "mit Recht erwarten"
dürfe.
NATO-Beitritt "noch vor EU-Beitritt"
In der Diskussion der 16 Staatspräsidenten am Vorabend habe sich
insbesondere ein starkes Drängen der Nachfolgestaaten des früheren
Jugoslawien hach einer raschen Öffnung der EU etwa bei der Gewährung
von Visafreiheit gezeigt. Klestil entgegnete, dass diese
"Erwartungen, nicht von heute auf morgen erfüllt werden können". Man
müsse im Erweiterungs- und Öffnungsprozess der EU "auch auf unsere
Bürger Rücksicht nehmen". Der tschechische Präsident Havel habe
darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten bei "zu weit reichender
Großzügigkeit" in ihrer Heimat Probleme mit Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und einer Ablehnung der Erweiterung bekommen
könnten.
Den Nutzen der Zusammenarbeit im Rahmen der Präsidentengipfel
Mittel- und Osteuropas sieht Klestil heute vor allem darin, auch
Staaten, die keine kurz- oder mittelfristige EU-Perspektive haben,
eine "Andockplattform" zu bieten. Für Österreich werde es sich in
einer erweiterten EU bezahlt machen, schon zuvor freundschaftlicher
Partner der künftigen Mitglieder zu sein. Zugleich wies Klestil aber
auch darauf hin, dass für die meisten Staaten der Region die
Mitgliedschaft in der NATO "in der Reihenfolge" noch vor der EU
stehe.
Das neunte Treffen der Präsidenten Mittel- und Osteuropas wurde am
Samstag mit einer Schlussdiskussion der 16 Teilnehmer beendet. Zuvor
traf Klestil zu bilateralen Gesprächen mit Havel und dem deutschen
Bundespräsidenten Johannes Rau zusammen. Anschließend stellten sie
sich in einer gemeinsamen Pressekonferenz den Fragen der Medien.
Slowenische Presse kritisch zum mitteleuropäischen Gipfeltreffen
Die slowenischen Medien berichten in diesem Zusammenhang auch über das Gespräch des
slowenischen Staatspräsidenten Milan Kucan mit Bundespräsident Thomas
Klestil, wobei erwähnt wird, dass Klestil die Frage des Ausbaus der
Phyrnstraße über das slowenische Territorium aufgeworfen hat. Es wird
auch berichtet, dass Klestil nicht bereit war, eine von ihm, Kucan
und Havel vorbereitete gemeinsame Erklärung mitzuunterschreiben. Der
Bundespräsident erklärte dazu vor österreichischen Journalisten,
diese Erklärung könne er nicht mittragen, da sie "bei uns falsch
verstanden werden könnte". (APA)