Der FDP-Vorstand verabschiedete am Freitag in einer Sondersitzung eine "Berliner Erklärung", in der im Zusammenhang mit der von Parteivize Möllemann angeheizten Antisemitismus-Debatte betont wird: "Wir missbilligen und bedauern, dass durch Jürgen Möllemanns Äußerungen Missverständnisse entstanden sind." Weder Israels Premier Ariel Sharon noch der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman, könnten für Antisemitismus verantwortlich gemacht werden. Dies hatte Möllemann behauptet.

"Möllemann hat Fehler nach Verirrungen eingeräumt", sagte Parteichef Guido Westerwelle mit Hinweis auf entsprechende Erklärungen seines Stellvertreters. Eine Notwendigkeit zu einer förmlichen Entschuldigung, wie sie der Zentralrat fordert, sieht Westerwelle nicht. Immerhin warnte Westerwelle – ohne Möllemann zu nennen – seine Parteifreunde vor der Verwendung antisemitischer Vorwürfe. "Wir Liberale bekämpfen Antisemitismus", heißt es in der Erklärung.

"Wir steigen in Umfragen"

Vor der Sitzung fühlte sich Möllemann bestätigt: "Wir steigen in Umfragen", beantwortete er Fragen von Reportern nach möglichen Konsequenzen für ihn. Als einzige Partei konnte die FDP im Politbarometer im Zwei-Wochen-Vergleich um einen Prozentpunkt zulegen – auf 9 Prozent. 28 Prozent halten auch Möllemanns Vorwurf, Friedman fördere antisemitische Haltungen, für gerechtfertigt.

Noch vor der Veröffentlichung dieser Umfrage sagte Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin zum Standard zu Möllemanns Tabubruch: "Das ist kalkuliert von Möllemann und Teil des Projekts, 18 Prozent zu bekommen." Ob es ihm etwas nütze? "Jörg Haider hat bei Ihnen ja auch dadurch Stimmen bekommen." Benz verwies auf Studien, wonach jeder fünfte Deutsche antisemitische Ressentiments habe.
(DER STANDARD, Printausgabe, 1.6.2002)