Bild nicht mehr verfügbar.

archiv
Zurück zu den Anfängen: Wer war Kurt Wallander vor dem 8.Jänner 1990, bevor Mörder ohne Gesicht, der erste Band der Bestseller-Serie begann? Henning Mankell hat mit großer Akribie und vielen Seiten eine Art Vorwort zu Wallanders Polizeikarriere geschrieben, das sich in formaler Hinsicht von den späteren Romanen unterscheidet. Er präsentiert statt eines durchgehenden Textes fünf längere Geschichten über Verbrechen und ihre Aufklärung. Der junge Polizeianwärter (Wallanders erster Fall ), der weg vom Streifendienst möchte und sich Chancen ausrechnet, einmal bei der Kriminalpolizei einzusteigen, findet seinen Nachbarn, einen älteren, unauffälligen Mann erschossen in seiner Wohnung. Wallanders Instinkt sagt ihm, dass etwas an diesem so offensichtlichen Selbstmord nicht stimmt. Er beginnt sich in den Fall zu verbeißen und fällt am Ende einem beinahe tödlichen Messerattentat zum Opfer. Er hat einen Fehler gemacht, den er noch öfter begehen wird, sich aus Ungeduld und Eigensinn allein einem Gegner zu stellen, der ihm überlegen ist. Wallander ist ein Held des Denkens, kein Action-Held, bei körperlichen Auseinandersetzungen verliert er. Was das Denken anlangt, ist der junge Polizist allerdings noch nicht sehr weit gekommen. Er fühlt sich zwar sehr unbehaglich, wenn er gegen die Demonstranten vorgehen soll, die gegen den Krieg in Vietnam protestieren, aber vorderhand steht er doch noch ziemlich unreflektiert auf Seiten von Ruhe und Ordnung. Die junge Frau in die er verliebt ist und die er heiraten wird, passt von allem Anfang an nicht zu ihm, der ein Einzelgänger ist. Sie wird sich später von ihm trennen, die fünfjährige Tochter mitnehmen und Wallander seinem mürrischen Singledasein überlassen. Woher Wallanders weitgehende Unfähigkeit zur zwischenmenschlichen Interaktion kommt, macht sein Schöpfer noch einmal deutlich. Der Vater Wallanders, skurril, stur und verletzend taktlos, gleichzeitig ein Meister der emotionellen Erpressung, kann kein Vorbild für eine gelungene Partnerbeziehung sein. Mankell behält also auch im "Prolog" zu den acht Romanen deren pessimistischen Grundton bei, den er vom persönlichen Erleben seiner Hauptfigur auf das Staatsgefüge als solches ausdehnt. Er schreibt im Vorwort, dass es bei seinen Kriminalromanen im Grunde um ein einziges Thema geht: "Was geschieht in den 90er Jahren mit dem europäischen Rechtsstaat? Wie kann die Demokratie überleben, wenn des Fundament des Rechtsstaates nicht mehr intakt ist?" Der Untertitel zu dem Wallander-Zyklus müsse eigentlich "Romane über die europäische Unruhe" lauten. Die Frage nach der Ursache der allgemeinen politischen Verdrossenheit, der Gefühle von Unsicherheit und Wut hätten viele seiner Leser in ihren Briefe n an ihn aufgegriffen. Mankell selbst reißt diese Fragen allerdings immer nur sehr oberflächlich an. Seine Klagen über die allgemeine Verrottung und Verrohung der Sitten klingt auch in Wallanders erster Fall recht schablonenhaft. Als ein verzweifelter, illegal ins Land gekommener Südafrikaner erst Wallander bedroht und dann Selbstmord begeht (Der Mann mit der Maske), weicht der knapp Gerettete seinem Disput mit seinem Vorgesetzten aus. Der vertritt die Meinung, dass "ausländische Kriminelle unser Land überschwemmen", Wallander schweigt. Mankell erspart nicht nur an dieser Stelle seinen Lesern eine weitergehende Auseinandersetzung - und auch den didaktischen Zeigefinger. Rache, Eifersucht und Habgier, es sind die ewig gleichen Triebe, die zu Kapitalverbrechen führen. All diese Geschichten hängen zusammen. Die hauchdünnen Fäden und winzigen Details, die sie über die Jahre verbinden, sind kaum sichtbar, aber mit großer Virtuosität gesponnen. Als die letzte Geschichte zu Ende geht, wird Wallander zu seinem nächsten Fall gerufen. Es ist der Anfang von Mörder ohne Gesicht. ( Von Ingeborg Sperl - Album, 25.05.2002)