Wien - Joe Orton, der genialische Rebell gegen die öffentliche Scheinmoral, hat sich ausgerechnet an die viktorianischste Wiener Bühne, an das Theater in der Josefstadt, verirrt. Eine dialektische Pointe, die in Günter Krämers unschuldsvoll daherkommender Regie prächtig zündet: Seid nett zu Mr. Sloane , die letzte Premiere der laufenden Spielzeit, ist lebendiges Theater mit schauspielerischem Glanz und bissiger Kritik an so genannten Grundsätzen, die landauf, landab noch genügend Vertreter haben. 1964 in London uraufgeführt, war Mr. Sloane Ortons Bühnenerstling. Er entzweite auch deshalb die Lager, weil der Autor selbst mit fingierten Leserbriefen die Debatte anheizte. Im Zentrum des Stückes stehen die Geschwister Kathrin und Ed, die rhetorisch streng dem Sittenkanon Genüge tun, tatsächlich aber auf die Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse aus sind. Zweierlei Begierden Der dem Waisenhaus entsprungene Sloane kommt ihnen gerade recht. In einer Bibliothek als künftiger Untermieter von Kathrin aufgeklaubt, steht Sloane bald nur mehr vor der Wahl, von wem er sich lieber erpressen lässt: vom snobistischen Ed, dem Freund einflussreicher Männer, von Kathrin, die schnell ein Kind von ihm erwartet, oder vom Vater, der in Sloane einen Mörder wiedererkennt. Zu Unrecht. Dafür ist der nächste Unfall ein Mord: Sloane erschlägt Vater Kemp, und Kathrin hat angeblich nur die Stiegen gewachst. Damit hat Sloane keine Wahl mehr. Er wird künftig ein halbes Jahr bei Ed wohnen und ein halbes bei Kathrin. Die Abgründigkeit von Ortons Humor ist noch von Hilde Spiel weitgehend ins Deutsche gerettet worden. Es klingt wie eine gewöhnliche Anstandsparole und ist doch auch das Gegenteil davon, wenn Helmuth Lohners Ed dem begehrten Lustknaben die Attraktivität der Frauen auszureden versucht. Dezent lässt Krämer seine Akteure die latente Frivolität des Textes illustrieren. Es ist ein Ereignis, wie glaubhaft abgestoßen Lohner vom weiblichen Unterleib sprechen kann, insbesondere vom "Tor zur Hölle". Traute Hoess stellt dem eine Kathrin gegenüber, der die Libido durch die Bluse dampft. Mit jedem Schinkenstück, das sie dem Untermieter aufdrängt, will sie nur seine Potenz erhöhen. Dabei bleibt sie durchwegs erkennbar als die durchschnittliche Kleinbürgerin. Auch Fritz Muliars fein zwischen Altersstarrsinn und -schläue nuancierender Vater Kemp trägt zur Situierung des Geschehens im Alltag bei. Nicht minder das treffliche Bühnenbild von Rolf Langenfass: Die Couch steht im Vordergrund, stets doppelsinnig als Objekt, das nicht nur da ist, um die Polster darauf zurechtzurücken. Und erst die Tapete: eine malvenfarbig behütete Königinmutter zu Besuch im Frauenverein. Viktoria. Und dann könnte das Ganze trotzdem in die Hose gehen, wenn die Titelfigur nichts wäre als ein behaupteter Kontrast. Markus Gertken hat zwar eine aufgemalte Zahnlücke, sonst aber ist er vom Scheitel bis zur Zehe der Unterprivilegierte, dessen Raffinement zu gering, dessen Wesen zu offen ist, um sich zu behaupten. In großer Natürlichkeit, zwischen Lebenslust und wachsendem Staunen, erspielt Gertken dem Sloane das dramatische Gegengewicht, das erforderlich ist, damit die Gesellschaftskomödie so ankommt, wie sie es hier tut: einfach gut. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21. 4. 2002)