In der Nacht hat es geschneit, und so tragen die vier Drachen, die die gleichnamige Brücke überragen, weiße Kappen, die sie noch grotesker erscheinen lassen, als sie ohnehin schon sind. Am Boden ist der Schnee schon wieder weg, die Nikes finden ihren Weg durch Spätherbstlaub und im Sprung über Pfützen. Zu den lustvollsten Arten, eine Stadt kennen zu lernen, gehört ein morgendlicher Lauf durch ihre Straßen, und in Ljubljana an einem Samstag früh ist der Lustgewinn besonders groß. Von der Miklosicevastraße hinunter zum Preserenplatz, die Ljubljanica flussabwärts bis zur Schleuse, und dann zurück und im Slalom über jede der acht Brücken von einem Flussufer zum anderen, vorbei am Markt und der Altstadt und hinüber ins residenziale Laibach mit Bibliothek, Universität und dem Kongresniplatz. Das alles in einer guten halben Stunde, denn die Stadt ist die kleinste und überschaubarste aller europäischen Metropolen. Und das macht Ljubljana zum idealen Wochenendziel; von Ostösterreich aus mit dem Auto schneller, mit der Bahn allerdings deutlich langsamer erreichbar als beispielsweise Innsbruck, bietet es Stadt pur und gleichzeitig en miniature. Es hat eine Oper mit klassischem Repertoire, Museen, eine moderne Galerie, in der die Internationale Grafik-Biennale stattfindet, ein Sommerfestival, eine Philharmonie und eine Cinemathek mit Pasolini-Retrospektive und Hongkong-Streifen. Das alles präsentiert sich aber nicht wie in so vielen Städten - von Wien bis Bilbao - mit einem Schielen nach dem devisenträchtigen Städtetourismus, sondern ist (noch!?) in erster Linie für die einheimische Bevölkerung da. Das macht den Besucher zu einem, der nicht nur konsumiert, sondern auch teil hat. Etwa (auch wenn man die Sprache nicht versteht) an der Neugier und Diskussionslust, mit der ein junges Publikum in der Moderna Galerija eine gerade eröffnete kleine, aber feine Andy-Warhol-Ausstellung kommentiert. Sein Stadtbild verdankt Laibach ausgerechnet einer Naturkatastrophe. 1895 vernichtete ein Erdbeben große Teile der Stadt, danach wurden namhafte Architekten wie Camillo Sitte und Max Fabiani mit der Neuplanung beauftragt. Die entstehende Prachtstraße Miklosiceva cesta wird von hochklassigen Secessionsbauten gesäumt, wie dem gerade renovierten Hotel Union, der schönsten Absteige in der Stadt, der Wirtschaftsbank von Ivan Vurnik und einem Versicherungsgebäude von Josef Plecnik. Vor allem der Otto-Wagner-Schüler Plecnik prägte das moderne Ljubljana auf unaufdringliche Weise mit seiner unverwechselbaren National- und Universitätsbibliothek, aber auch seinen Brücken, Plätzen, dem Markt und sogar dem Fußballstadion. Der Markt mit dem langen, zweistöckigen Arkadenpavillon am Fluss, mit einer großen Halle und zwei Plätzen im Freien ist das Lebenszentrum der Stadt, besonders am Samstag vormittag. Hier liegt ausgebreitet, was das neuerdings so vitale Slowenien an kulinarischen Genüssen vereint. Fisch und Meeresfrüchte von der nur 120 Autobahnkilometer entfernten Adria, Schinken aus dem Karst, Kastanien und Kakifrüchte aus der Gorisca Brda und Käse, Pilze und Honig von den Südtälern der Alpen. Neben Fässern voll Sauerkraut und Bergen von Zwiebeln und Feigen bietet eine alte Frau ein paar blau und violett gesprenkelte Wachtelbohnen und zwei Sträußchen Strohblumen feil. Zu Mittag finden sich dann die mit gefüllten Plastiksäcken beladenen Marktbesucher unweigerlich im kleinen Lokal in der Fischhalle ein, um bei einem Glas Beli Pinot Calamari und Sardinen zu verspeisen. Und selten bleibt's bei einem Glas. So wie der Markt ist die ganze Stadt ein Ort für jede Jahreszeit. An warmen Frühjahrs- und Herbstabenden frequentieren die Studenten die trendigen Straßenlokale entlang der Ljubljanica, und an den nebeligen Winternachmittagen ist das Café des Hotels Union das Zentrum der neuen Laibacher Eleganz. Pünktlich am zweiten Wochenende im November (Martini) liefern die Weinbauern von Medana ihren "Novo", den jungen Roten des neuen Jahrgangs aus, und Ende März wird Ljubljana überhaupt zur Welthauptstadt des Weins, wenn fast dreißig Länder bei der internationalen Weinmesse vertreten sind. Zum Schluss ein Tipp für Fußballfreunde: Wer in Ljubljana die Stimmung bei der Qualifikation Sloweniens für die WM erlebte, bekam einen Vorgeschmack auf das, was hier während der Endrunde los sein wird. Also wenn man schon nicht für Österreich die Daumen halten kann, könnte man es ja für und gemeinsam mit den freundlichen Nachbarn tun. Tipps zum Nachreisen Infos & Literatur: Slowenisches Tourismusbüro Wien, Tel. 01/715 40 10 oder 01/710 56 84. Slowenien. Reiseführer, 723 Seiten, Verlag Mladinska knjiga, Ljubljana, 1999. Vom Nationalstolz des jungen Staates getragene Informationen über Landschaften und Städte, mit einem ausführlichen Teil über Ljubljana. Izabella Gawin: Slowenien. 128 Seiten. Merian live. Verlag Gräfe und Unzer, München. Kurzinformationen über Hotels und andere Unterkünfte. EURO 8,28 Peter Lexe, Ferdinand Neumüller: Slowenien: Hundert köstliche Entdeckungen. Verlag Carinthia, Klagenfurt, 1998. Die sich entwickelnde Restaurant- und Beiselszene Ljubljanas wird darin sympathisch beschrieben. EURO 26,02 Anfahrt: Mit der Bahn: Freitag, Wien Süd ab 15.58 Uhr, Ljubljana an 22.46 Uhr. Sonntag Ljubljana ab 15.58 Uhr, Wien Süd an 22.02 Uhr. Mit dem Auto: A 2 über Graz, Spielfeld, Maribor: 410 km ab Wien. Der Standard/rondo/14/12/2001