Wer Stücktitel wie "Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia" erfindet, dem darf man misstrauen: Doch Regisseur Dieter Giesing verhilft dem Satiriker Botho Strauß mit leichter Hand zu einer wunderbaren Erstaufführung am Wiener Burgtheater.

Von Ronald Pohl

Wien – Mit dem erzwungenen Auszug der schönen Künste aus den Tempeln der Offenbarung sind die Musenkinder der Dichtkunst Unterstandslose geworden: ein Geschick, das sie mit den Handlungsreisenden dieser Welt teilen.

Die Schöngeister mischen sich unerkannt unter das gewerbetreibende Volk. Sie spuken durch Empfangshallen und Köpfe. Sie lungern in Lounges, während Firmenvertreter in panischer Angst vor dem 16. Stock vergehen und einen langbeinigen Engel, der sich als Liftboy verkleidet, um Assistenzdienste anflehen.

Das Hotel "Confidence", das der szenische Mythograph Botho Strauß als Schauplatz von Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia strichelt, ist nicht nur ein Überlebenstrainingsplatz für kopflose Dienstleister. Es ist ein Refugium für Liebende.

Bei Strauß, der die Alltagsgeister aus den muschelbedeckten Flaschen seiner mythischen Einbildungskraft mit einem Plopp entweichen lässt, heißt das: sich notwendig Verfehlende. Er versetzt die Hotelluft in feine, atmosphärische Schwingungen. Im Wiener Burgtheater steigt das Aroma merklich aus der Fiktion herauf: Karl-Ernst Herrmann hat eine Durchgangszimmerflucht aus aufgeschlagenen Buchseiten gebaut; durchschimmernd wie Libellenflügel kleben dazwischen die kleinen, aufgeschreckten Menschenwesen fest – als Opfer ihrer mindestens nachtlangen Begierden.

Unter allen Dienstleistungsnomaden sind die Dichter die hilflosesten: Ihr ekstatisches Lallen findet keinen Markt. Ihr Zungensprechen stößt auf taube Ohren. Doch weil es auch in der Marktwirtschaft zuweilen zauberisch zugeht, sickern ein paar wenige Poesiepartikel in das allgegenwärtige Gerede der Kulturkonsumenten mit ein.

Hotel-Sommernacht

Es ist ein ewig währender Sommernachtstraum, von dem Strauß heiter wispert. Ein Partikelgestöber: Unter die Kleinverleger und Großschwätzer, die Greisinnen und Greise, Narren (Robert Meyer, Branko Samarovski) und Bildungsbeauftragte mengt sich Strauß, der doch die Zivilisation aus ehrlichem Herzen verachtet, wie ein insektenforschender Puck. Er reißt den mit der Moderne geschlagenen Menschen die Fühler und Beinchen vom hart verschalten Leib. Wer aber tut dies behutsamer als Strauß – zumal wenn ihm mit Dieter Giesing der bestmögliche Regisseur das blitzblanke Besteck zur Verfügung stellt?

Strauß setzt gleich zu Anfang die schöne Literatur einem Generalverdacht aus: Die Autorin Sylvia Kessel (Anne Bennent) klettert im dunkelrosa Hosenanzug auf die Bühne, klemmt sich unbehaglich hinter den unvermeidlichen Lesetisch mit Wasserkaraffe und Halogenlampe und liest aus ihrem Romanmanuskript "Rapunzelzopf": das Kinn vorgereckt, in jener unbeirrbaren Mischung aus Trotz und grenzenloser Trauer, die nur ein feinsinniger Dichter als Jahrmarktsausrufer kennt.

Die Stimme eines Kleinverlegers mit "Zwischenrufer-Syndrom" weckt sie aus ihrem Gestolper durch das Dickicht der (eigenen) Wörter. Von nun an wird ihr, über drei quecksilbrige Stunden lang, ein jedes ihrer Wörter im Mund zuverlässig umgedreht werden: von dem Literaturbeauftragten Zacharias Werner (Uwe Bohm), der ihren Manuskripten wie ein Vogelfänger nachstellt, der Gelder aufreißt wie Frauen – und Frauen nimmt für die Aussicht auf Geld.

Bohm verfolgt sein scheinbar "schöngeistiges" Ziel wie ein Boxer der Halbgewichtsklasse; unbeirrbar zäh wie ein Hund, dem ein Knochen vorschwebt, nagt und schabt er an den Gönnern und Financiers. Man hat vielleicht schon rampengeilere Protagonisten gesehen als Bohm: Niemals bläht er sich auf, redet er sich heiß oder läuft er sich tot. Er gewahrt eher fassungslos seine Erektion, wenn er, als Teilzeitbeschäftigter, ein Model-Casting mit der ihm eigenen Pragmatik wahrnimmt.

Doch er bricht seiner Schutzbefohlenen, der herrlich schwebenden, noch leichter vergehenden Dichterin Kessel (Anne Bennent), im Vorübergehen das Herz entzwei. Denn aus der Tiefe der Burg, die sich ihr bis jetzt vielleicht schönstes Saison-Geschenk bereitet hat, schweben Frauenbilder zu ihm herüber, die nur sein überhitztes Bullterrier-Gehirn sich aussinnen mag.

Unter den Bewerberinnen die alte Geliebte: Sylvie Rohrer als entfesselte Xanthippe mit der mokanten Angstbeißlust der Verschmähten; Dunja Sowinetz als esoterische Brunftdiva mit Verwirrtaktik; Johanna Wokalek, die mit dem frühreifen Gliederdehnen der höheren, koksverwöhnten Tochter den armen Verleger überhaupt im Sturm nimmt.

Alle sind sie Marktkonkurrentinnen mit poetischen Erleuchtungen. Dergleichen Personal lebt in der Welt des schnöden Leistungszwangs nicht sicher – und nicht lange. Es leidet an "Epiphanien", traurigen, kleinen, erheiternden Erkenntnisblitzen: Luftgebäckstücke im schweren Lebensranzen, aus dem Paulus Manker seine fieseste Maske herausklaubt und, eine großartige Szene lang, den Orson Welles im Bademantel gibt, den schmutzigen Charmeur aus der Gosse.

Der Kleinverleger schläft nicht mit seiner Dichterin – das ist sein Sündenfall. Aber die beiden werden zusammen weitermachen, solange die erkaltete Lebenswelt eben die Poesie des Zufalls braucht – und Stücke von Botho Strauß.

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Termine und Karteninfos: Burgtheater.at
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 4. 2002)