London - Die Mutter von Königin Elizabeth II ist am
Samstagabend im Alter von 101 Jahren gestorben. Sie war schon seit
Monaten kränklich. Königin Elizabeth die Königinmutter, wie der
offizielle Titel der Witwe von König Georg VI. lautete, war zuletzt
im Februar bei der Beerdigung ihrer zweiten Tochter Margaret in der
Öffentlichkeit gesehen worden.
Als Elizabeth Angela Marguerite Bowes-Lyon am 4. August 1900 als
das neunte von zehn Kindern einer schottischen Adelsfamilie geboren
wurde, stand das "British Empire" in voller Blüte. Es war das letzte
volle Jahr der Regentschaft von Queen Victoria, die Labour-Party war
gerade gegründet worden, das Automobil noch eine bestaunte
Seltenheit. Eine beschützte Kindheit war vorprogrammiert:
Privatunterricht, Reiten, Angeln, Jagdpartien, Kricketspiel und
zeitweilig auch eine deutsche Gouvernante, Kathie Kübler.
Die Welt der absoluten moralischen Werte, gepaart mit einer
strikten katholischen Erziehung, geriet ins Schwanken, als am 14.
Geburtstag Elizabeths der Erste Weltkrieg ausbrach. Ihr
Lieblingsbruder, Fergus, fiel im September 1915 an der Front in
Frankreich. Ein anderer Bruder, Michael, wurde als vermisst gemeldet,
kehrte aber später unversehrt aus dem Krieg zurück. Die junge
Elizabeth arbeitete in den Kriegsjahren als Krankenschwester auf dem
elterlichen Schloss Glamis in Schottland, das zu einem Hospital für
Kriegsverwundete umfunktioniert worden war.
Nicht zuletzt diese Erfahrungen stählten die damals noch nichts
ahnende Elizabeth für ihre künftigen Aufgaben. Die goldenen zwanziger
Jahre genoss sie in vollen Zügen. Ihr Terminkalender war mit
Rendezvous-Terminen von Verehrern so voll, dass Elizabeth sich zwei
Jahre lang zierte, den Heiratsantrag aus dem Königshaus anzunehmen.
Drei Mal hielt Albert ("Bertie"), der zweite Sohn von König Georg V.,
um ihre Hand an, bevor die bürgerliche Elizabeth einwilligte und mit
der Einheirat ins Königshaus im April 1923 zur Herzogin von York
wurde.
"Bertie", Stotterer, Einzelgänger und eingefleischter Pessimist,
war nach allen Überlieferungen ganz verrückt "nach meiner lieben
kleinen Frau", wie er Elizabeth beschrieb. Er konnte sie auch noch
gut gebrauchen. Mit der sensationellen Abdankung von Edward VIII, dem
ältesten Bruder "Berties", wegen seiner Beziehung zu der geschiedenen
Amerikanerin Wallis Simpson, wurde die britische Monarchie 1936 in
ihre bis dahin schwerste Krise gestürzt.
"Bertie" bestieg im Dezember 1936 als Georg VI. den Thron. Seine
Frau, von jetzt an nur noch "Queen Elizabeth" genannt, entpuppte sich
als resolute und unentbehrliche Begleiterin. Zielstrebig holte sie
einen renommierten Sprachtherapeuten herbei, der dem König mit Erfolg
dazu verhalf, seine öffentliche Rolle auszuführen.
Ihre eigene Zähigkeit im Kampf um das Überleben der Monarchie
stellte Queen Elizabeth in ihrer harten Haltung gegenüber Simpson
unter Beweis. Sie war wesentlich dafür verantwortlich, dass der
schillernden Amerikanerin der Titel "Königliche Hoheit" verwehrt
wurde und verweigerte jeden Kontakt mit ihr.
Die anhaltende Popularität der Queen Mother, darin sind sich die
Historiker einig, ist in ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg begründet.
An der Seite des Königs besuchte sie damals das von deutschen
Angriffen zerstörte Londoner East End. Sie weigerte sich, die beiden
Töchter Elizabeth und Margaret ins sichere Kanada zu schicken.
Als im September 1940 auch Bomben auf den Buckingham-Palast
fielen, zeigte sie sich erfreut, "weil ich nun den Leuten im East End
in die Augen sehen kann." Die Kriegsjahre, so sagte Queen Elizabeth
später, waren "die glücklichsten in unserem Leben." Adolf Hitler sah
in ihr die "gefährlichste Frau Europas."
Früh wurde Queen Elizabeth 1952 mit dem Tod von König Georg VI.,
der im Alter von nur 56 Jahren an Lungenkrebs starb, zur Witwe. Die
heute noch regierende Elizabeth II. bestieg den Thron. Nur einen
Steinwurf vom Buckingham-Palast entfernt, in ihrem eigenen Palast
Clarence House, lud die lebenslustige Witwe nicht selten nach Opern-
oder Theaterbesuch Freunde nach Hause ein.
"Sie ist nie allein", wusste eine Hofdame. Nachschub an Gin oder
Champagner - ihren Lieblingsgetränken - wurde auf Kredit beim
Hoflieferanten Fortnum & Mason bestellt. Ihr extravaganter
Lebensstil, so wurde berichtet, soll der Königinmutter hohe
Bankschulden eingebracht haben. All das konnte der Popularität der
alten Dame keinen Abbruch tun. Denn für viele Briten symbolisierte
die "beliebteste Großmutter der Nation" nach einem turbulenten
Jahrhundert nicht nur Langlebigkeit, sondern auch das Überleben der
Monarchie. (APA/dpa)