Salzburg - Wollte man in den Programmen von Claudio Abbados finalen Osterfestspielen eine Brücke zum weihevollen Parsifal schlagen, dann läge es nahe, im Fall von Schumanns wundersam umständlichen Faust -Szenen eine orchestrale, stimmungsbildnerische Wagner-Nähe zu sehen. Lang- wierige Palaver, aber auch die Kraft zu Höhepunkten in Nachbarschaft zu den späten Verfügungen des Bayreuther Übermeisters bestätigen eine gewisse Verwandtschaft. Claudio Abbado war es, der das auf Verklärung zusteuernde Werk mit der ihm (spät)eigenen Inbrunst, ja Innigkeit auf die Bühne brachte - unterstützt in seinen zwischen Zartheit und Farbenschwere vermittelnden Vorstellungen von einer zehnköpfigen Solistenschar, unterstützt von dem melodischen Wort verpflichteten Chören. Abbado und die Berliner Philharmoniker scheinen in der Ausklangsphase ihrer nicht immer friktionsfreien Beziehung eine Gesinnungsgemeinschaft geworden zu sein. Man hört aufeinander, akzeptiert das Gegebene und nimmt es zum Anlass, auch jene Wünsche zu befriedigen, die man musikwitternd erahnt. Anders ist ein nicht durchgehend gelungenes Großprojekt wie das Faust -Szenario kaum glaubhaft zu übermitteln. Und unter solchen Umständen dürfen sich Thomas Quasthoff (Faust), Amanda Roocroft (Gretchen) oder Albert Dohmen (Mephisto) in eine Tragödie eingebunden fühlen, die an Expressivität das Äußerste fordert. Zum Erleben freigegeben also der ganze Faust nach Maßen Schumanns, in den sorgenden Händen Abbados aufgehoben; einen Abend später ein "Fäustchen" in Gestalt von Christian Thielemann. Auch er hatte einen Wagner-Bezug parat, nämlich mit der Mendelssohnschen Reformationssinfonie (op. 107), in deren tastendem Beginn genau jenes Dresdner Amen zitiert wird, das im Parsifal für Weihe und für Erlösung bürgt. Diese von Thielemann und den Berlinern sehr abgestuft eingefädelte Passage legte den Verdacht nahe, es handelte sich bei dieser Dirigent-Orchester-Besetzung um eine florierende Allianz. Aber in allzu vielen motorischen Passagen irritierte Thielemann mit einer gewissen Leerläufigkeit des Bewegungsrepertoires, mit jungoberlehrerhaften Zeigefingerattacken. In ihm steckt ein ganzer deutscher Faust, aber je mehr er möchte, desto weniger scheint er echten Einfluss zu gewinnen. Bei einem post-mahlerischen Satz wie Henzes Fraternité bleibt dies noch ohne starke Auswirkung, aber in den mobilen Stereotypien der Schumann-Sinfonien hat dies mobile Öde zur Folge. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 3. 2002)